Die Bestien von Belfast
sollen.«
Karl griff sich unwillkürlich in den Schritt und verzog das Gesicht, als würde er die Schmerzen selbst spüren. »Sag, was du willst, aber drück dich bitte etwas gewählter aus. Du hörst dich an wie eine Figur aus einem meiner bis dato noch unveröffentlichten Romane.«
»Okay. Das ist vielleicht ein bisschen extrem, aber sie hätte ihm die Waffe in den Mund stecken, sich vergewissern sollen, dass die Kammer nicht leer ist, und dann zweimal abdrücken, um ganz sicher zu sein.«
»Jemand hat ihn tatsächlich erschossen – allerdings mit drei und nicht zwei Kugeln. Wo warst du in der Nacht, als er ermordet wurde?«
»Mit einem alten Perversling, der doppelt so alt ist wie ich, in der Kiste. Wann hat sie denn endlich den Mut gefunden, das alte Aas zu verlassen?«
»Letztes Jahr, sagt sie. Zur selben Zeit, als der zornige Thomas in ihr Leben trat.«
»Oh …«
»Oh, kann man wohl sagen. Genau das Wort, das mir in den Sinn kam, als sie es mir erzählte. Sehr passend. Sie hatte etwas gemeinnützige Arbeit geleistet, als man sie bat, einen Workshop für eine Gruppe ehemaliger Sträflinge zu leiten. Sie behauptet, anfangs habe sie gezögert, dann aber beschlossen, einen Versuch zu wagen. Und ehe sie sich versah, befand sie sich auf der Straße nach Damaskus – auch wenn sie vermutlich die M 1 meinte, die zum Gefängnis Woodbank führt.«
»Glaubst du, ihr jugendlicher Liebhaber hat etwas mit dem Mord an Milligan zu tun? Dass sie ihn womöglich dazu angestiftet hat?«
»Je mehr ich über Milligan erfahre, desto geneigter bin ich, den Mann zu verabscheuen – tot oder lebendig. Steckt der zornige Thomas mit drin? Wäre denkbar …«
Plötzlich bemerkte Karl den großen Umschlag, der an einer Lampe auf dem anderen Tisch lehnte.
»Der kommt mir bekannt vor.«
»Der kam, während du weg warst …« Widerwillig reichte Naomi Karl die Postsendung.
Drei Kapitel seines jüngsten Manuskripts retour, augenscheinlich unberührt.
»Sieht aus, als hätten die Drecksäcke es nicht mal geöffnet«, sagte Karl und warf den Umschlag auf das Sofa. »Zum Glück bin ich so dickhäutig wie ein Rhinozeros.«
Naomi küsste ihn sanft auf die Wange. »Fast hättest du mich getäuscht. Aber vielleicht hat er sein Ziel gar nicht erreicht? Weißt du noch, die Weihnachtskarte, die wir mal im Juli bekommen haben?«
Karl lächelte. »Du bist lieb und meine größte Stütze. Und etwas zu trinken soll dein gerechter Lohn sein. Reich mir den Mantel, Liebste. Erst die Begegnung mit Margaret Bond und nun diese Ablehnung meines Manuskriptes – ich bin vernichtet. Zeit, in Selbstmitleid zu zerfließen. Auf ins Billy Holidays.«
Billy Holidays, das von vielen als Belfasts beste Bar für Schwule und Transsexuelle betrachtet wurde, lag unweit der Hauptzufahrtsstraße in das nahe am Stadtkern gelegene, lebendige Cathedral Quarter. Günstigerweise war sie auch nur wenige Minuten zu Fuß von Karls Büro-Apartment entfernt.
Die Nacht war plötzlich gedämpft und still geworden, nur das leiseste Flüstern des Verkehrs war im Hintergrund zu hören. Die aussätzigen Bordsteine, die Karl und Naomi mieden, wurden gerade von einem nächtlichen Arbeitertrupp aufgehübscht. Dunkle Pfützen auf dem unebenen Bürgersteig markierten den Weg zum Billy Holidays.
Vor dem Pub wies eine mit bunter Kreide vollgeschriebene Tafel auf kommende Karaoke- und Bingo-Großereignisse hin, von kulinarischen ganz zu schweigen:
Jeden Mittwoch: Georgina Michael Song Contest! Bungo Bingo! Mach dich jeden Dienstag und Donnerstag – und dazwischen, wenn du dich traust – über unsere weltberühmten Eier her!
Der Königin des Billy Holidays, eine perfekt gebaute Transsexuelle namens Ivana Trampp, war ganz in den Anblick eines baumlangen, durchtrainierten, blendend aussehenden jungen Mannes in Lederkluft vertieft, als Karl und Naomi zur Tür hereinspazierten.
»Naomi!«, sang Ivana, rauschte dem Duo entgegen und schwang dabei derart die Hüften, dass es zum Fürchten war.
»Hallo, Ivana«, sagte Naomi herzlich, während sie und Ivana sich angedeutete Küsschen auf die Wangen hauchten.
»Wie geht’s, Ivana?«, fragte Karl und winkte einem Kellner am anderen Ende der Bar zu.
»Beschissen. Aber das kümmert dich ja nicht.«
»Möchtest du was trinken?«, fuhr Karl fort.
»Hat der Hulk grüne Eier?«, konterte Ivana. »Man fragt eine Dame nie,
niemals,
ob sie etwas trinken möchte, sondern bestellt einfach und lässt das Glas neben ihre anmutigen Hände
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