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Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung

Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung

Titel: Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Roth
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Freizeitbeschäftigungen. Schmale Stege und Treppen aus Fels verbinden sie. Und nirgendwo gibt es Geländer, die einen vor dem Absturz bewahren.
    Ein gelbroter Lichtstrahl kommt von schräg oben. Das Dach der Grube besteht aus Glas, und darüber befindet sich ein Gebäude, durch das das Sonnenlicht hereinfällt. Bestimmt sind wir mit dem Zug daran vorbeigefahren, aber da hat es ausgesehen wie jedes andere Gebäude auch.
    In unregelmäßigen Abständen sind blaue Lampen aufgehängt, die so ähnlich aussehen wie die blauen Kugeln im Zeremoniensaal. Je dunkler es draußen wird, desto heller leuchten sie.
    Überall wimmelt es von schwarz gekleideten Menschen, sie rufen durcheinander, reden laut, temperamentvoll, gestenreich. Aber mir fällt auf, dass keine alten Leute unter ihnen sind. Gibt es überhaupt alte Ferox? Leben sie nicht lange genug, um alt zu werden? Oder werden sie einfach weggeschickt, wenn sie nicht mehr aus fahrenden Zügen springen können?
    Eine Schar Kinder rennt einen schmalen Gang ohne jedes Geländer so schnell hinunter, dass mein Herz vor Schreck klopft und ich ihnen am liebsten zurufen möchte: » Lauft langsamer, damit euch nichts passiert!« Ich muss unwillkürlich an die Straßen der Altruan denken: Eine Reihe von Menschen auf der rechten Seite geht an einer Reihe von Menschen auf der linken Seite vorbei, mit flüchtigem Lächeln, schweigend und mit gesenktem Kopf. Bei der Erinnerung krampft sich mein Magen zusammen. Aber das wilde Durcheinander bei den Ferox hat auch etwas Faszinierendes.
    » Kommt mit«, sagt Four, » ich zeige euch die Schlucht.«
    Er macht uns ein Zeichen weiterzugehen. Von vorn sieht Four eher brav aus, verglichen mit anderen Ferox, aber wenn er sich umdreht, schaut am Nacken unter dem T-Shirt ein Tattoo hervor. Er führt uns an den rechten Rand der Grube; dort ist es verdächtig schummrig. Angestrengt starre ich in die Dunkelheit und sehe, dass der Untergrund, auf dem ich stehe, vor einem eisernen Geländer endet. Je näher wir dem Geländer kommen, desto lauter ist ein Geräusch zu hören– Wasser, tosendes Wasser, das gegen das Gestein donnert.
    Ich spähe über die Reling. Der Höhlengrund fällt steil ab und tief unter uns fließt ein Fluss. Schäumendes Wasser klatscht gegen die Felswand unter mir und sprüht bis nach oben. Auf der linken Seite ist das Wasser ruhiger, aber rechts tobt die weiße Gischt.
    » Die Schlucht sollte uns immer daran erinnern, dass der Grat zwischen Tapferkeit und Dummheit sehr schmal ist.« Four muss gegen das donnernde Wasser anschreien. » Ein Draufgänger, der sich von diesem Vorsprung stürzt, ist sofort tot. Das ist schon vorgekommen und wird auch wieder vorkommen. Ich habe euch hiermit gewarnt.«
    » Unglaublich«, sagt Christina, als wir alle vom Geländer zurückweichen.
    Ich nicke. » Unglaublich ist das richtige Wort.«
    Four führt uns durch die Grube zu einem klaffenden Loch in der Wand. Der Raum dahinter ist so hell erleuchtet, dass ich endlich richtig sehe, wohin wir gehen: in einen gut besuchten Speisesaal. Geschirr klappert. Als wir eintreten, stehen die Ferox auf. Sie klatschen, rufen, trampeln mit den Füßen. Der Lärm umtost mich, hüllt mich ein. Christina lächelt zufrieden und einen Moment später lächle ich auch.
    Wir sehen uns nach freien Plätzen um. Schließlich entdecken wir einen Tisch am Rand, der fast leer ist. Ich setze mich zwischen Christina und Four. Mitten auf dem Tisch steht eine Platte mit Speisen, die ich nicht kenne: runde Fleischstücke zwischen runden Brotscheiben. Ich nehme eines zwischen die Finger, ich weiß nicht, was ich damit anfangen soll.
    Four stößt mich mit dem Ellbogen an.
    » Rindfleisch«, sagt er. » Tu was davon drauf.« Er reicht mir eine kleine Schüssel mit einer roten Sauce.
    » Hast du etwa noch nie einen Hamburger gegessen?«, fragt Christina ungläubig.
    » Nein«, antworte ich. » Heißt das Zeug so?«
    » Die Stiff essen nur ganz einfache, ungewürzte Speisen«, sagt Four zu Christina.
    » Warum?«, fragt sie.
    Ich zucke mit den Schultern. » Genusssucht ist maßlos und damit unnötig.«
    Sie feixt. » Kein Wunder, dass du abgehauen bist.«
    » Ja genau«, antworte ich trocken. » Das Essen war schuld.«
    Fours Mundwinkel zucken.
    Die Tür zur Cafeteria geht auf und im Raum wird es schlagartig still. Ich drehe mich um. Ein junger Mann kommt herein. Jetzt ist es so leise, dass man seine Schritte hört. Er hat derart viele Piercings im Gesicht, dass ich gar nicht erst

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