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Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung

Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung

Titel: Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Roth
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Apfelscheiben aus der Hand gerissen hat. An seine trüben, durchdringenden Augen. Statt wie das Ken-Mädchen loszuheulen, spüre ich, wie meine Entschlossenheit wächst und eine ungekannte Härte sich in mir breitmacht. Ich werde Mitglied werden. Ich will es unbedingt. » Aber… das ist unfair!«, sagt Molly, das breitschultrige Candor-Mädchen. Sie klingt wütend, aber in ihren Augen sehe ich Angst. » Wenn wir das gewusst hätten…«
    » Willst du damit sagen, dass du dich nicht für die Ferox entschieden hättest, wenn du es vor der Zeremonie der Bestimmung gewusst hättest?«, schnauzt Eric sie an. » Wenn das so ist, dann kannst du nämlich gleich abhauen. Wenn du wirklich eine von uns wärst, würdest du keinen Gedanken daran verschwenden, dass du versagen könntest. Und wenn du es doch tust, dann heißt das, dass du ein Feigling bist.«
    Eric stößt die Tür zum Schlafraum auf.
    » Du hast dich für uns entschieden«, sagt er. » Jetzt müssen wir uns für dich entscheiden.«
    Ich liege im Bett und höre, wie neun Menschen atmen.
    Ich habe noch nie mit Jungen im gleichen Zimmer geschlafen, aber hier bleibt mir nichts anderes übrig, es sei denn, ich nächtige auf dem Gang. Alle anderen haben schon die Sachen angezogen, die wir von den Feroxbekommen haben, aber ich schlafe in den Kleidern der Altruan, die nach Seife und Frische riechen und nach zu Hause.
    Dort hatte ich mein eigenes Zimmer. Ich konnte durchs Fenster auf den Vorgarten schauen und dahinter lag im Dunst die Skyline der Stadt. Es war immer still, wenn ich schlief.
    Meine Augen brennen, wenn ich an zu Hause denke, und als ich blinzle, rollt eine Träne über meine Wange. Ich presse die Hand an den Mund, um nicht loszuheulen.
    Ich darf nicht weinen, nicht hier. Ich muss mich beruhigen.
    Es wird schon gut gehen. Ich kann mich ab jetzt im Spiegel anschauen, wann immer ich will, ich kann mich mit Christina anfreunden, mir die Haare kurz schneiden und ich muss mich nicht mehr um den Mist der anderen kümmern.
    Meine Hände zittern, die Tränen strömen immer heftiger, alles verschwimmt vor den Augen.
    Es ist egal, dass mich meine Eltern kaum wiedererkennen werden, wenn ich sie am Besuchstag wiedersehe– falls sie überhaupt kommen. Es ist egal, wie weh es tut, sobald ich auch nur für einen Moment versuche, mir ihre Gesichter vorzustellen. Selbst Calebs Gesicht– obwohl mich seine Geheimniskrämerei so sehr verletzt hat. Ich bemühe mich, im gleichen Rhythmus ein- und auszuatmen wie die anderen. Es ist egal.
    Ein ersticktes Geräusch unterbricht das gleichmäßige Atmen, dann ein lautes Schluchzen. Bettfedern knarren, ein schwerer Körper wälzt sich herum, ein Kissen erstickt das Schluchzen, aber nicht völlig. Es kommt vom Schlafplatz neben mir– von einem der Candor-Jungen, Al, dem Größten und Kräftigsten von uns. Er ist wirklich der Letzte, von dem ich erwartet hätte, dass er die Nerven verliert.
    Seine Füße sind nur Zentimeter von meinem Kopf entfernt. Ich müsste ihn trösten– es müsste mir ein echtes Anliegen sein, ihn zu beruhigen, denn so bin ich erzogen worden. Stattdessen empfinde ich Abscheu. Jemand, der so stark aussieht, sollte nicht so verweichlicht sein. Warum kann er nicht einfach im Stillen weinen, so wie alle anderen auch?
    Ich muss schlucken.
    Wenn meine Mutter wüsste, was ich gerade denke. Ich weiß genau, wie sie mich anschauen würde. Mit heruntergezogenen Mundwinkeln. Mit gerunzelter Stirn, nicht finster, eher müde. Ich wische mir mit der Hand über die Wangen.
    Al schluchzt wieder. Bei dem Geräusch spüre ich plötzlich selbst ein Kratzen im Hals. Er ist nur eine Armeslänge von mir entfernt– ich sollte ihn anfassen, ihn beruhigen.
    Nein. Ich lasse die Hand sinken, lege mich auf die Seite und drehe den Kopf zur Wand. Es geht niemanden etwas an, dass ich ihm nicht helfen will. Ich kann dieses Geheimnis für mich behalten. Ich kneife die Augen zu und spüre, wie mich der Schlaf überkommt, aber jedes Mal, wenn ich fast eingeschlafen bin, höre ich Al wieder.
    Vielleicht ist mein Problem gar nicht, dass ich nicht zurück nach Hause kann. Ich vermisse Mutter und Vater und Caleb und das brennende Feuer am Abend und das Klappern der Stricknadeln, aber das ist nicht der einzige Grund für das flaue Gefühl in meinem Magen.
    Mein Problem ist wahrscheinlich eher, dass ich, selbst wenn ich nach Hause ginge, nicht dorthin passen würde, zu den Menschen, die geben, ohne lange nachzudenken, und die sich um andere kümmern,

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