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Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung

Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung

Titel: Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Roth
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den Ärmel runter.
    » Alle mal herhören! Ich heiße Max! Ich bin einer von den Anführern eurer neuen Fraktion«, ruft ein Mann vom anderen Ende des Dachs. Er ist etwas älter, hat tiefe Furchen in seiner dunklen Haut, und an den Schläfen sind seine Haare schon grau. Er steht so lässig auf dem Dachvorsprung, als wäre es ein breiter Gehweg. Als wäre nicht gerade jemand von hier oben in den Tod gestürzt. » Einige Stockwerke unter uns ist der Eingang zu unserem Hauptquartier. Wenn ihr euch nicht traut runterzuspringen, dann gehört ihr nicht hierher. Unsere Neulinge haben das Vorrecht, als Erste zu springen.«
    » Wir sollen allen Ernstes vom Dach springen?«, fragt ein Ken-Mädchen. Sie ist einen halben Kopf größer als ich, mit mattbraunen Haaren und wulstigen Lippen. Ihr Mund steht sperrangelweit offen.
    Ich weiß nicht, wieso sie so entsetzt tut.
    » Ja«, sagt Max, er scheint sich darüber zu amüsieren.
    » Ist da unten Wasser oder so?«
    » Wer weiß?« Er zieht vielsagend die Augenbrauen hoch.
    Die Ferox bilden eine breite Gasse, um uns passieren zu lassen. Ich schaue mich unter den Neulingen um. Keiner ist scharf darauf, vom Dach zu springen– sie schauen überallhin, nur nicht zu Max. Einige widmen sich ihren kleineren Verletzungen oder wischen sich den Sand aus den Kleidern. Ich blicke zu Peter. Er zupft an seinen Fingernägeln und versucht, unbeteiligt zu wirken.
    Ich habe meinen Stolz, und eines Tages werde ich deswegen Ärger kriegen, aber heute macht er mich verwegen.
    Ich trete an den Dachvorsprung. Hinter mir höre ich Gekichere.
    Max weicht zur Seite und macht mir den Weg frei. Ich gehe bis zum Rand und blicke nach unten. Der Wind pfeift durch meine Kleider und lässt den Stoff flattern. Das Haus, auf dem ich stehe, bildet zusammen mit drei anderen Gebäuden ein großes Viereck. In der Mitte des Innenhofs ist im Beton ein riesiges Loch. Woraus der Boden besteht, kann ich von hier oben nicht erkennen.
    Sie wollen uns nur Angst einjagen. Ich werde gefahrlos unten ankommen. Diese Gewissheit hilft mir, bis vor an die Kante zu treten. Meine Zähne klappern. Ich kann jetzt nicht mehr zurück. Nicht wenn alle hinter mir stehen und nur darauf warten, dass ich kneife. Ich taste an meinem Hemdkragen herum, bis ich den Knopf gefunden habe. Nach ein paar vergeblichen Versuchen knöpfe ich das Hemd auf und ziehe es aus.
    Darunter trage ich ein graues T-Shirt. Es liegt eng an, enger als alle anderen Kleidungsstücke, die ich besitze. Noch nie hat mich jemand in diesem T-Shirt gesehen. Ich knülle mein Oberteil zusammen und blicke über die Schulter zu Peter. Mit zusammengebissenen Zähnen schleudere ich es auf ihn. Ich treffe ihn an der Brust. Er sieht mich an. Hinter mir höre ich Pfeifen und Johlen.
    Ich blicke hinunter in das Loch. Eine Gänsehaut jagt über meine blassen Arme und mein Magen rebelliert. Wenn ich jetzt nicht springe, werde ich es niemals tun.
    Ich schlucke den dicken Kloß in meinem Hals hinunter und denke an nichts. Ich stoße mich einfach ab und springe.
    Das dunkle Loch rast auf mich zu, wird größer und breiter, der Wind pfeift in meinen Ohren. Mein Herz klopft so schnell, dass es wehtut. Jede Faser in mir ist angespannt und im Fallen stülpt sich mir der Magen um. Das Loch verschluckt mich und ich stürze in die Dunkelheit.
    Ich falle auf etwas Hartes, aber dann gibt es unter mir nach und hüllt mich ein. Der Aufprall ist so stark, dass ich keine Luft mehr bekomme und nach Atem ringen muss. Meine Arme und Beine brennen.
    Ein Netz. Am Boden des Lochs ist ein Netz. Ich schaue hoch und lache, halb erleichtert, halb hysterisch. Am ganzen Körper bebend, schlage ich die Hände vors Gesicht. Ich bin gerade von einem Dach gesprungen.
    Jetzt brauche ich schleunigst wieder festen Boden unter den Füßen. Mehrere Hände strecken sich mir vom Rand des Netzes entgegen. Ich packe die erstbesten und halte mich daran fest. Ich rolle vom Netz und wäre mit dem Gesicht nach unten auf den Boden gefallen, wenn mich nicht jemand aufgefangen hätte.
    Dieser Jemand ist der junge Mann, dessen Hände ich ergriffen habe. Er hat eine schmale Oberlippe und eine volle Unterlippe. Seine Augen liegen so tief, dass seine Wimpern fast die Augenbrauen berühren, sie sind tiefblau, träumerisch, gedankenverloren, abwartend.
    Er fasst mich am Arm, aber sobald ich aufrecht stehe, lässt er mich los.
    » Danke«, sage ich.
    Wir stehen auf einem Podium, etwa drei Meter über dem Boden, mitten in einer Art Höhle.
    »

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