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Die Bestimmung - Toedliche Wahrheit - Band 2

Die Bestimmung - Toedliche Wahrheit - Band 2

Titel: Die Bestimmung - Toedliche Wahrheit - Band 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Roth
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einfällt.
    Ich umklammere die Decke und schaukle vor und zurück, vor und zurück. Morgen wird mein Leben zu Ende sein. Tobias hat vielleicht Glück und ihm gelingt beim Einmarsch der Fraktionslosen die Flucht. Die Ferox werden wieder neue Anführer wählen. Alle Lücken, die ich hinterlasse, werden bald geschlossen sein.
    Ich nicke. Keine Familie, keine Lücke, kein großer Verlust.
    » Ich hätte dir vergeben können, weißt du«, sage ich. » Dass du mich während meiner Initiation töten wolltest. Wahrscheinlich hätte ich es gekonnt.«
    Wir beide schweigen eine Weile. Ich weiß nicht, warum ich ihm das erzähle. Vielleicht einfach nur deshalb, weil es wahr ist und weil heute die Nacht der Nächte ist und es an der Zeit ist, aufrichtig zu sein. Heute Nacht bin ich ebenso aufrichtig wie selbstlos wie tapfer. Heute Nacht bin ich wahrhaft unbestimmt.
    » Ich habe dich nicht darum gebeten«, erwidert er und wendet sich zum Gehen. Aber dann bleibt er in der Tür stehen. » Es ist 9 Uhr 24.«
    Dass er mir sagt, wie spät es ist, ist ein kleiner Verrat– und aus diesem Grund richtig mutig von ihm. Vielleicht hat Peter gerade zum ersten Mal wie ein wirklicher Ferox gehandelt.
    Morgen werde ich sterben. Es ist schon lange her, dass ich eine solche Gewissheit hatte, deshalb kommt mir dieses Wissen wie ein Geschenk vor. Heute ist nichts, morgen kommt, was immer auch nach dem Tod kommen mag. Und Jeanine weiß immer noch nicht, wie sie die Unbestimmten beherrschen soll.
    Irgendwann fange ich an zu weinen. Ich klammere mich ans Kissen und lasse den Tränen freien Lauf. Ich weine heftig, so wie Kinder weinen, bis mein Gesicht glüht und mir richtig schlecht ist. Ich kann zwar so tun, als wäre ich tapfer, aber ich bin es nicht.
    Ich nehme an, jetzt ist der Zeitpunkt, für all das, was ich getan habe, um Vergebung zu bitten, aber ich fürchte, meine Liste wäre nie vollständig. Außerdem bezweifle ich, dass das, was nach dem Leben kommt, davon abhängt, ob ich eine Liste meiner Vergehen im Detail aufzählen kann. Das klingt eher wie eine Jenseitsvorstellung der Ken– hyperkorrekt, aber ohne jedes Gefühl. Ich glaube nicht, dass das, was kommt, davon abhängt, was ich tue oder lasse.
    Also ist es besser, wenn ich das befolge, was die Altruan mir beigebracht haben. Ich sollte mich selbst nicht wichtig nehmen, nach vorne blicken und hoffen, dass ich bei dem, was kommen mag, besser sein werde als jetzt.
    Ich lächle ein wenig. Ich wünschte, ich könnte meinen Eltern sagen, dass ich wie eine Altruan sterben werde. Ich glaube, sie wären stolz auf mich.

35. Kapitel
    An diesem Morgen ziehe ich die sauberen Kleider an, die man mir bereitgelegt hat, schwarze Hosen– zu weit, aber wen stört das noch?– und ein langärmeliges schwarzes Shirt. Keine Schuhe.
    Es ist noch nicht an der Zeit. Ich ertappe mich dabei, wie ich meine Finger verschränke und den Kopf neige. Manchmal hat mein Vater das gemacht, morgens, ehe er sich an den Frühstückstisch gesetzt hat, aber ich habe ihn nie nach dem Grund gefragt. Aber jetzt würde ich meinem Vater gerne wieder so nahe sein, bevor… bevor es vorbei ist.
    Ein paar Augenblicke später sagt mir Peter, dass es Zeit ist zu gehen. Er sieht mich dabei nicht an, sondern starrt düster an die Wand. Es wäre wohl zu viel gewesen, auch noch ein freundliches Gesicht für heute Morgen zu verlangen. Ich stehe auf und gemeinsam gehen wir den Gang entlang.
    Meine Zehen sind kalt. Ich kann meine Füße kaum von den Fliesen heben. Wir biegen um eine Ecke und ich höre eine gedämpfte Stimme. Zuerst verstehe ich nicht, was sie sagt, aber als wir näherkommen, wird sie deutlicher. » Ich will… zu ihr!« Tobias. » Ich muss… sie sehen!«
    Ich blicke Peter an. » Ich darf doch ein letztes Mal mit ihm sprechen, darf ich?«
    Peter schüttelt den Kopf. » Aber dort ist ein Fenster. Wenn er dich sieht, wird er endlich Ruhe geben.«
    Er führt mich in einen Seitenkorridor, der keinen Durchgang hat und nur ein paar Meter lang ist. Am Ende ist eine Tür, und Peter hat recht, denn ganz oben, eine Handbreit über meinem Kopf, ist ein Fenster.
    » Tris«! Tobias’ Stimme ist hier noch deutlicher zu hören. » Ich will sie sehen!«
    Ich strecke mich und presse meine Handfläche gegen die Glasscheibe. Die Rufe hören auf und hinter der Scheibe erscheint sein Gesicht. Seine Augen sind gerötet, sein Gesicht ist fleckig. Und hübsch. Er sieht ein paar Sekunden auf mich herab, dann drückt er seine Hände gegen das Glas,

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