Die Bestimmung - Toedliche Wahrheit - Band 2
Stiff genannt?«, fragt Fernando.
» Ja«, sage ich. Ich bin von den Altruan zu den Ferox gewechselt.«
» Hmm.« Er runzelt die Stirn. » Das ist eine erstaunliche Wendung. So ein genetischer Sprung in der Persönlichkeit zwischen den Generationen ist heutzutage fast nicht mehr möglich.«
» Manchmal hat die eigene Persönlichkeit rein gar nichts mit der Entscheidung für die eine oder für die andere Fraktion zu tun«, sage ich. Ich muss an meine Mutter denken. Sie hat die Ferox nicht etwa verlassen, weil sie nicht zu ihnen gepasst hätte, sondern weil es für eine Unbestimmte bei den Altruan einfach sicherer war. Und Tobias ist zu den Ferox gewechselt, um vor seinem Vater zu fliehen. » Es kann unendlich viele Gründe dafür geben.«
Um vor dem Mann zu fliehen, mit dem ich jetzt unter einer Decke stecke. Sofort plagen mich Gewissensbisse.
» Rede nur so weiter, dann kommt niemand auf die Idee, dass du keine echte Ken bist«, sagt Fernando.
Ich fahre mir mit einem Kamm durch die Haare, um sie zu glätten, und stecke mir die Strähnen hinter die Ohren.
» Warte mal«, sagt Cara. Sie angelt sich eine lose Strähne und steckt sie mit einer silbernen Haarspange zurück, so wie es die Ken-Mädchen immer machen.
Christina holt die Waffen hervor, die wir dabeihaben, und sieht mich an.
» Willst du eine?«, fragt sie. » Oder willst du lieber einen Schocker?«
Ich starre auf die Pistole in ihrer Hand. Wenn ich den Schocker nicht nehme, dann begebe ich mich völlig unbewaffnet zu den Menschen, die nur allzu bereitwillig auf mich schießen werden.
Aber wenn ich ihn nehme, dann stehe ich vor Fernando, Cara und Marcus als Schwächling da.
» Weißt du, was Will dazu sagen würde?«, fragt Christina.
» Was denn?«, frage ich mit erstickter Stimme.
» Er würde sagen, dass du endlich mit dem Unsinn aufhören sollst«, sagt sie. » Dass du dich nicht länger so unvernünftig aufführen und die blöde Waffe nehmen sollst.«
Will konnte es nicht leiden, wenn sich jemand nur von Gefühlen leiten ließ. Christina muss es wissen, sie kannte ihn schließlich viel besser als ich.
Sie– die an diesem Tag genau wie ich jemanden verloren hat, den sie liebte– sie konnte mir verzeihen, etwas, was ich für undenkbar gehalten habe. Wäre ich an ihrer Stelle, hätte ich das nicht so einfach über mich gebracht. Warum also fällt es mir so schwer, mir selbst zu verzeihen?
Ich lege die Hand um den Griff der Pistole, die Christina mir reicht. Da, wo ihre Finger lagen, ist sie noch ganz warm. Die Erinnerung daran, wie ich ihn erschossen habe, blitzt in meinen Gedanken auf; ich versuche, sie wegzuschieben, aber sie lässt sich nicht verdrängen. Ich lasse die Pistole fallen.
» Der Schocker ist auch keine schlechte Wahl«, sagt Cara und zupft sich ein Haar vom Ärmel. » Wenn ihr mich fragt, sind die Ferox sowieso ein bisschen zu vernarrt in ihre Pistolen.«
Fernando reicht mir einen Schocker. Ich wünschte, ich könnte Cara meine Dankbarkeit irgendwie zeigen, aber sie sieht nicht in meine Richtung.
» Wo soll ich das Ding verstecken?«, frage ich.
» Ich würde mir gar nicht erst die Mühe machen, es zu verstecken«, antwortet Fernando.
» In Ordnung.«
» Wir sollten jetzt besser aufbrechen«, sagt Marcus mit einem Blick auf seine Uhr.
Mein Herzklopfen ruft mir das Verstreichen der Sekunden schmerzhaft ins Gedächtnis, aber der Rest meines Körpers fühlt sich taub an. Ich spüre kaum noch den Boden unter meinen Füßen. Ich hatte noch nie solche Angst wie in diesem Moment. Angesichts all der Dinge, die ich in meinen Simulationen gesehen habe, all der Dinge, die ich während des Angriffs getan habe, ergibt das überhaupt keinen Sinn.
Oder vielleicht doch. Was auch immer es war, was die Altruan kurz vor dem Angriff bekanntmachen wollten– für Jeanine ist es wichtig genug gewesen, um sie mit auf grausame Weise davon abzuhalten. Und ich bin gerade drauf und dran, das Werk der Altruan zu vollenden, ein Werk, für das meine ehemalige Fraktion ihr Leben lassen musste. Es steht so viel mehr auf dem Spiel als nur mein eigenes Leben.
Christina und ich gehen voran. Wir laufen über die sauberen, glatt geteerten Gehwege der Madison Avenue, vorbei an der State Street in Richtung Michigan Avenue.
Einen halben Häuserblock vor dem Hauptquartier der Ken halte ich inne.
Ein Stück voraus stehen vier Reihen Menschen, die meisten von ihnen sind schwarz-weiß gekleidet und zwischen ihnen sind je zwei Schritte Abstand. Sie haben
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