Die Bestimmung - Toedliche Wahrheit - Band 2
ihre Waffen schussbereit auf uns gerichtet. Ich blinzle, und die Menschen verschwimmen zu Ferox, die von der Simulation durch das Viertel der Altruan gelenkt werden. Reiß dich zusammen! Reiß dich zusammen reiß dich zusammen reiß dich zusammen … Ich blinzle ein zweites Mal und sehe wieder Candor vor mir– obwohl einige von ihnen in ihrer schwarzen Kleidung den Ferox ziemlich ähnlich sehen.
Wenn ich nicht aufpasse, verliere ich die Kontrolle über mich, und dann weiß ich nicht mehr, wo ich bin und wen ich vor mir habe.
» Oh mein Gott«, flüstert Christina. » Meine Schwester, meine Eltern … was, wenn sie…«
Sie blickt mich an, und ich habe eine ziemlich genaue Vorstellung davon, was sie denkt. Ich weiß nur zu gut, wie sie sich gerade fühlt. Wo sind meine Eltern? Ich muss sie finden. Aber wenn es ihren Eltern wie diesen Candor ergangen ist, wenn sie von der Simulation gelenkt werden, wenn sie mit Waffen im Anschlag hier irgendwo stehen, dann gibt es nichts, was Christina noch für sie tun könnte.
Ich frage mich, ob Lynn jetzt auch irgendwo in einer dieser Reihen steht.
» Was jetzt?«, fragt Fernando.
Ich mache einen Schritt auf die Candor zu. Vielleicht sind sie gar nicht darauf programmiert, zu schießen. Ich blicke in die starren Augen einer Frau, die eine weiße Bluse und eine schwarze Hose trägt. Sie sieht aus, als käme sie gerade von der Arbeit. Ich wage noch einen weiteren Schritt.
Peng. Instinktiv lasse ich mich fallen, reiße die Arme schützend über den Kopf und robbe über den Boden zurück, hin zu Fernandos Schuhen. Er hilft mir auf.
» Ich schlage vor, dass wir genau das nicht machen«, sagt er.
Ich strecke mich– nicht zu weit– und spähe die Straße hinunter, die zwischen dem Hauptquartier der Ken und dem Nachbargebäude verläuft. Auch in dieser Nebenstraße stehen Candor. Es würde mich nicht überraschen, wenn der gesamte Gebäudekomplex von einem engen Netz aus Candor-Patrouillen umspannt wäre.
» Gibt es keinen anderen Weg zum Hauptquartier?«, frage ich.
» Nicht, dass ich wüsste«, erwidert Cara. » Es sei denn, du hast Lust, von einem Dach zum nächsten zu springen.« Sie lacht leise, als hätte sie gerade einen Witz gerissen. Ich ziehe die Augenbrauen hoch.
» Moment mal«, sagt sie. » Du willst jetzt nicht etwa –«
» Aufs Dach?«, frage ich. » Nein. Aber es gibt ja noch Fenster.«
Ich gehe vorsichtig nach links und achte darauf, den Candor nicht zu nahe zu kommen. Das Gebäude vor mir grenzt fast nahtlos an eine Seite des Hauptquartiers der Ken. Es muss ein paar Fenster geben, die sich direkt gegenüberliegen.
Cara murmelt etwas von abgedrehten Ferox-Stunts, aber sie folgt mir, genau wie Fernando, Marcus und Christina. Ich versuche, die Hintertür des Gebäudes zu öffnen, aber sie ist verriegelt.
» Geht mal alle einen Schritt zurück.« Christina drängt sich an mir vorbei und zielt mit ihrer Waffe auf das Schloss. Ich halte mir den Arm schützend vors Gesicht, als sie abdrückt. Es gibt einen lauten Knall, gefolgt von dem hohen Sirren, das man immer hört, wenn in nächster Nähe eine Kugel abgefeuert wird. Das Schloss zerspringt in tausend Stücke.
Ich ziehe die Tür auf und gehe hinein. Vor mir liegt ein langer gefliester Gang und auf beiden Seiten sind Türen. Manche stehen offen, andere sind geschlossen. Ich werfe einen Blick in die offenen Zimmer und entdecke Reihen von Schulbänken und alte Wandtafeln, die denen im Hauptquartier der Ferox ziemlich ähnlich sehen. Ein muffiger Geruch hängt in der Luft, eine Mischung aus alten Bibliotheksbüchern und Reinigungsmittel.
» Das hier war eigentlich mal ein Gewerbegebäude«, erklärt Fernando. » Aber die Ken haben es zu einer Schule umgebaut für die Ausbildung ihrer jungen Leute, wenn diese ihre Initiation absolviert haben. Nachdem sie vor zehn Jahren im Hauptquartier ziemlich große Umbauten in Angriff genommen haben– damals hat man alle Gebäude vom Millennium Park bis zum Hauptquartier miteinander verbunden–, haben sie den Unterricht hier eingestellt. Zu alt, und eine Modernisierung hätte sich nicht mehr gelohnt.«
» Vielen Dank für die Geschichtsstunde«, sagt Christina.
Am Ende des Gangs gehe ich in ein weiteres Klassenzimmer, um nachzusehen, wo genau wir uns befinden. Von dort aus habe ich Ausblick auf die Rückseite des Hauptquartiers der Ken. In dessen Erdgeschoss gibt es leider kein einziges Fenster.
Draußen, direkt vor dem Fenster, so nah, dass ich sie anfassen könnte,
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