Die Betäubung: Roman (German Edition)
aufgefallen. Man springt füreinander ein, hilft sich gegenseitig. Ich will nicht klagen. Oder petzen.«
»Alles, was wir besprechen, soll der Verbesserung dienen. So musst du es sehen. Du hast die Arbeitsatmosphäre bei den HNO-Operationen hervorgehoben. Könnten wir uns etwas davon abschauen?«
»Seit du hier bist, machen wir Teamtrainings«, sagt Suzan nachdenklich. »Wir üben gemeinsam, mit den Assistenzärzten und den Anästhesiepflegern zusammen. Vorige Woche hatte ich so einen Nachmittag mit Bram Veenstra. Wenn man sich erst einmal an diese komische Gummipuppe gewöhnt hat, wirkt sie sehr echt. Ein TURP-Syndrom war dran. Bram spielte den Urologen, so einen richtigen Autisten, der nichts anderes im Kopf hat, als die riesige Prostata so schnell wie möglich klein zu kriegen. Er hockte zwischen den Beinen des Patienten und war völlig unzugänglich. Wir hinter dem Tuch wurden immer unruhiger, wir dachten an Natriummangel und Hirnödem, aber aus irgendeinem Grund trauten wir uns nicht, etwas zum Operateur zu sagen. Bis Sjoerd, dieser junge Pfleger, ein netter Junge ist das, bis Sjoerd also plötzlich rief, dass er jetzt auf der Stelle aufhören müsse mit dem Spülen und wir den Patienten wach machen würden – na, da gab es natürlich mächtigen Streit. Warum erzähle ich das eigentlich? Ach ja, ich dachte: Wir von der Anästhesie werden durch diese Trainings zwar schon zu einem Team, aber wenn die Operateure nicht mitmachen, bringt uns das nicht viel.«
»Wir müssen irgendwo anfangen«, sagt Vereycken. »In unseren eigenen Reihen. Der nächste Schritt wird die Einbeziehung der Chirurgie sein. Ich führe bereits Unterredungen darüber, aber sie gestalten sich, ehrlich gesagt, nicht ganz so einfach. Sie wollen schon, einige jedenfalls, aber das kostet Stunden – und wer bezahlt das?«
»Sie wollen? Auch die Herzchirurgen?«
»Dort ist mein Vorschlag auf gewisse Vorbehalte gestoßen, will ich mal sagen. Es scheint um Revierstreitigkeiten zu gehen, sie sind der Meinung, dass die Operationssäle ihnen gehören. Und so benehmen sie sich auch.«
Suzan denkt an Bobby Harinxma, den aufbrausenden Kardiochirurgen, der gerne mal ruft, er wolle Stille in seinem OP. Wie sehr sie das ärgert und wie unfähig sie jedes Mal ist, ihm zu verstehen zu geben, dass er Gast im OP ist. Ihr Gast im Grunde.
»Wir sollten mit den Operateuren zusammen ein Team bilden. Der Anästhesiologe ist der Anführer, der hat den besten Überblick. Man kann das mit dem Konzertmeister in einem Orchester vergleichen. Wir wollen nicht der Chef sein, sondern die Richtung in der Zusammenarbeit vorgeben. Das Wissen des kooperierenden Teams ist größer als die Summe dessen, was jedes einzelne Teammitglied weiß. Man schaut über die Grenzen seines Fachgebiets hinaus. Das ist die Zukunft. Das neue Arbeiten.«
Es klingt nach Luftschlössern, aber Suzan glaubt trotzdem daran. Sie bezweifelt allerdings, dass alle so darüber denken.
»Es ist eine Frage der Persönlichkeit«, findet Vereycken. »Mir ist schon oft aufgefallen, dass unsere Kollegen eher schüchtern sind. Vielleicht eine Folge der Auswahl. Wer bewirbt sich für unseren Ausbildungszweig? In sich gekehrte Menschen mit Interesse für Chemie. Menschen, die sich nicht für intensive, lang anhaltende Patientenkontakte erwärmen können. Ich formuliere es negativ. Man könnte auch sagen: Der durchschnittliche Anästhesist ist dienstbar und hält sich im Hintergrund. Schüchternheit ist ein eigenartiges Phänomen. Ein schüchterner Mensch fühlt sich beobachtet, als drehe sich die ganze Welt nur um ihn. Eigentlich genau wie der Chirurg, nur im umgekehrten Sinne. Ein und derselbe Gedanke äußert sich bei dem einen in starkem Geltungsdrang und bei dem anderen in ängstlicher Scheu. Ich begebe mich jetzt auf ein Terrain, das nicht das meine ist. Was hältst du davon?«
»Es kann bei uns auch schon mal in Geltungsdrang und Herrschsucht ausarten. Dafür finden sich durchaus Beispiele. Man sollte nicht pauschalisieren. Und auch nicht psychologisieren. Es kann gut sein, dass wir in der Weiterbildung Bewerbern den Vorzug geben, mit denen wir uns verwandt fühlen, aber ich betrachte uns nicht als einen Klub aus menschenscheuen oder angstbesetzten Menschen.«
Sie ist erbost. Er bringt sie auf die Palme mit seinen voreingenommenen Ansichten. Psychologie ist für zu Hause, mit Peter am Tisch. Hier will sie nichts davon hören.
»Jetzt sag doch mal«, fordert Vereycken sie auf, »wie würdest du die
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