Die Betäubung: Roman (German Edition)
selbst nicht gewachsen ist. So ist es. Er setzt sich gerade auf.
»Apropos für sich entscheiden«, sagt Allard, »dazu hätte ich noch was zu erzählen. Ich hatte am Freitag ein Gespräch mit dem Anästhesiologieprofessor in der Uniklinik. Vereycken heißt er. Ein sehr sympathischer Mann. Belgier. Ich habe ihn gefragt, ob ich einen Weiterbildungsplatz bei ihm bekommen könnte. Es war gewissermaßen ein Bewerbungsgespräch.«
Drik verschlägt es die Sprache. Da denkst du, du hast die Agiererei beim Wickel, und dann wird dir das serviert!
»Aber du befindestdich doch bereits in einer Ausbildung«, wendet er schwach ein.
»Ich gehe dort weg.«
Allard zieht ein Kuvert aus seiner Brusttasche.
»Die Kündigung. Gestern geschrieben. Gebe ich nachher dem für die Weiterbildung zuständigen Psychiater. Ich höre einfach damit auf.«
Ruhig bleiben, denkt Drik, weiterforschen.
»Was hat denn dieser Vereycken gesagt?«
»Ich habe ihm alles erklärt. Dass ich entdeckt habe, dass die Psychiatrie nichts für mich ist. Dass ich bei diesen Elektroschocks dabei war. Dass ich viel von Biochemie verstehe. Er hat sich Zeit für mich genommen. Er hat mich verstanden.«
Drik könnte aus der Haut fahren. Positive Übertragung ade, und ich bleibe auf der nicht behandelbaren Wut sitzen. Ich muss diesen Jungen vor seinen idiotischen Impulsen behüten. Wenn es nicht schon zu spät ist.
»Hast du etwas mit diesem Professor vereinbart?«
Allard grinst breit.
»Drei Monate auf Probe. Nächsten Monat fange ich an. Ich habe riesige Lust dazu.«
14
Livia kommt mit einer Kanne Kaffee herein.
»In der Küche stehen drei Kartons mit Kuchen. Kann ich euch etwas davon bringen? Bram Veenstra hat ein Söhnchen bekommen.«
Vereycken und Suzan schütteln unisono den Kopf. Schwitzende Cremeschnitten, lauwarme Rumkugeln – bloß nicht. Vereycken wird wohl bemüht sein, Maß zu halten, damit er nicht zu sehr aus dem Leim geht. Oder er isst nur Gebäck, wenn es gutes Gebäck ist.
»Ein Glas Wasser gern, Livia, und sorgst du bitte dafür, dass wir nicht gestört werden?«
Suzan trägt einen weißen Kittel über ihrer Straßenkleidung. So sieht Vereycken es gern, wenn seine Fachärzte ihren Bürotag haben. Man bleibe immer Arzt, findet er, auch wenn man Mails schreibe.
Eine Seite seines Zimmers besteht aus einer Glasfront, die Aussicht auf den weitläufigen Park bietet. Büsche und Bäume tragen das stumpfe Dunkelgrün des Augusts. Suzan seufzt. Als Livia das Wasser gebracht hat, schiebt Vereycken seinen Stuhl näher an den Tisch heran.
»Willkommen, Suzan. Schön, dass wir mal kurz miteinander reden können. Ich möchte dir das eine und andere unterbreiten. Aber vor allem möchte ich gern wissen, wie es dir geht.« Aus seinen braunen Hundeaugen sieht er sie treuherzig an.
»Tut es dir um den Kuchen leid? Nein, oder?«
Sie schüttelt den Kopf. Warum ist sie so schwerfällig, was hindert sie bloß daran, etwas zu sagen?
»Gut, glaube ich«, bringt sie schließlich hervor. »Es geht mir gut. Ich habe in letzter Zeit viel HNO gemacht. Das war nett.«
Gut, nett – welcher Wortschatz! Fällt ihr nichts Besseres ein? Ich habe den Kontakt zu meinem Kind verloren. Ich bin geschockt über das Herzversagen meiner Freundin. Ich weiß manchmal, ganz kurz, nicht, was ich zu tun habe, so als hätte ich noch nie ein Narkosegerät gesehen. Da wird er mich doch wohl nicht gleich entlassen?
»Und aus welchem Grund empfindest du die HNO-Eingriffe als so angenehm?«
»Zusammenarbeit«, entfährt es Suzan prompt. Sie sieht das fröhliche Gesicht von HNO-Arzt Ruud vor sich, mit dieser lächerlich großen Duschhaube auf dem Kopf.
»Vielleicht hat es einfach etwas damit zu tun, dass man dabei gemeinsam am Kopf des Patienten steht. Ganz anders als sonst, wenn man hinter einem Tuch arbeiten muss. Man berät sich mehr, auch bevor wir anfangen. Oder liegt es am Operateur?«
»Ja, ja«, sagt Vereycken, »das kann natürlich sein. Wir haben die unterschiedlichsten Charaktere hier im Haus versammelt. Was mich interessiert, ist, welchen Eindruck du von unserer Abteilung hast. Du warst eine Weile raus aus dem Betrieb, da bekommt man doch einen frischen Blick auf alles. Was ist dir aufgefallen, als du deine Arbeit wieder aufgenommen hast?«
»Kleine Streitereien. Ärgernisse. Keine Abstimmung zwischen Operationsplan und Intensivstation oder Aufwachraum. Jetzt zähle ich nur die negativen Dinge auf. Aber die meisten machen ihre Arbeit hier gern. Das ist mir auch
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