Die Bettelprophetin
verlor, hinüber zur Hütte mit ihrem halbverfallenen Dach und dem hübschen Pferd, das davor angebunden stand. Ein leichter Wind spielte in den Gräsern und trug den Geruch von Frühling heran.
«Kommen Sie oft hier heraus?»
«Viel zu selten, um ehrlich zu sein. Dabei ist es augenblicklich kaum auszuhalten in der Stadt. Waren Sie schon mal in Ulm?»
«Nein, aber …» Sie brach ab. Warum sollte sie dem Rittmeister von ihrer Freundin Sophie erzählen, wenn sie nicht einmal wusste, ob sie wirklich in Ulm lebte.
«Die ganze Stadt ist nichts als laut und dreckig.» Er reichte ihr ein Stück Wurst. «Die größte Bundesfestung aller Zeiten wird gerade gebaut, mit vierzig Festungswerken rundum, mächtigen Wällen und Bastionen und Kasernen für die Garnison. Fünftausend Soldaten des Bundesheeres soll die Anlage dereinst beherbergen. Dazu soll bald schon mit der Württembergischen Eisenbahnstrecke begonnen werden, die mitten durchs Ulmer Gebiet führt. Da kannst du dann von Stuttgart nach Ulm und weiter bis an den Bodensee fahren, ohne dich auch nur einmal von deiner Bank zu rühren.»
«Ich würd mich niemals in solch ein Ungetüm setzen.» Sie nahm einen weiteren kräftigen Schluck Wein und spürte, wie ihr immer leichter zumute wurde. «Ich hab mal ein Bild von einer Eisenbahn gesehen, das sah aus wie ein Monster gradwegsaus der Hölle. Riesig und schwarz und mit dicken Rauchschwaden darüber. Die Menschen auf dem Bild waren winzig klein und sind alle davongelaufen vor Angst.»
«Ach was! Eines Tages wird das Reisen mit der Eisenbahn so alltäglich sein wie der Gang auf den Markt.»
Theres schüttelte den Kopf und lächelte. «Das glaub ich nicht. Das ist nur was für Abenteurer, die die Gefahr suchen.»
Er berührte ihre Hand, die nach einem Stück Brot griff. «Sie sind noch schöner, wenn Sie lächeln. Beantworten Sie mir eine Frage?»
«Wenn sie schicklich ist …»
«Haben Sie einen Bräutigam? In Ihrem Dorf?»
«Das war schon mal gar keine schickliche Frage.» Jetzt musste auch sie laut herauslachen und wunderte sich zugleich, wie leicht ihr dieses Geplänkel fiel. Ihr kam es vor, als würde sie diesen Kasimir schon seit langem kennen. Er hatte so gar nichts von dem dummdreisten Männergehabe, das andre Kerle an den Tag legten, sobald sie eine Uniform trugen und einen Säbel am Gürtel. Er war liebenswürdig, höflich, aufmerksam und behandelte sie fast gar wie ein Mädchen aus gutem Bürgerhause. Er nahm sie ernst.
Sie legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Der melodische Gesang eines Rohrsängers drang aus dem Schilf zu ihnen herüber, dann vernahm sie den ruhigen Flügelschlag eines Graureihers und seinen Jagdruf: kraik, kraik, kraik!
Als sie die Augen wieder öffnete, erblickte sie vor sich, keine Elle entfernt, das Gesicht des Rittmeisters, der sie aufmerksam betrachtete.
Sie wich zurück. «Was tun Sie da?»
«Ich dachte, du schläfst.» Das Du aus seinem Mund erschien ihr wie eine Berührung.
«Ich hab den Vögeln zugehört.» Sie griff nach ihrem Umhang,den sie neben sich gelegt hatte. Plötzlich war der Wind frisch geworden. Behutsam legte Kasimir von Eichborn ihr den Stoff um die Schultern.
«Essen und trinken wir noch etwas. Ich will das alles doch nicht wieder mit zurückschleppen müssen.»
«Sie? Ihr Sultan, wollen Sie wohl sagen.»
«Du bist frech!» Er schenkte ihr und sich den letzten Rest Wein ein. Als er ihr den Becher reichte, berührten sich ihre Hände.
«Danke, Herr Rittmeister. Ich weiß gar nicht …»
«Kasimir», verbesserte er streng.
«Also, recht herzlichen Dank für diese Brotzeit, Herr Kasimir.»
Er lachte auf. «Du bist unverbesserlich. Wollen wir nicht einfach du zueinander sagen?»
«Aber wir kennen uns doch gar nicht.»
«Und wenn wir das ändern?»
Mit einem Mal hatte sie das Gefühl, dass die Situation doch nicht mehr ganz so ziemlich war, wie sie es sich eingeredet hatte. Brüsk erhob sie sich und strich sich den Rock glatt.
«Ich muss jetzt gehen.»
«Nicht so schnell.» Der Rittmeister hielt sie beim Arm fest. «Ich möchte dich wiedersehen. Nächsten Sonntag?»
«Ich weiß nicht …»
«Hör zu, Theres: Ich werde hier sein, ob es stürmt oder Hunde und Katzen hagelt. Ich werde auf dich warten. Und wenn du nicht kommst, werde ich den Sonntag drauf wieder hier sein.» Seine Augen schienen sie anzuflehen, die Lippen unter dem dunklen Schnauzbart begannen zu zittern. «Ich muss dich wiedersehen.»
«Vielleicht.»
Er
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