Die Bettelprophetin
und den armen Pfarrer dazu. Was für eine Schand!»
Sie schleuderte Theres den Korb vor die Füße und begann zu schreien: «Wenn ich könnt, würd ich dich mit den Hunden vom Hof jagen! Für allezeit!»
Fassungslos starrte Theres sie an. Dann drehte sie sich um und verließ ohne ein weiteres Wort den Schuppen.
Am selben Abend stürzte Fabrikant Erpf in die Stube, außer sich und mit hochrotem Kopf.
«Was für eine bodenlose Impertinenz!» Er fuchtelte mit einem amtlich aussehenden Schreiben in der Luft herum. «Das hier ging an die Presse im ganzen Land. Die Untersuchung der sogenannten Weissenauer Teufelsgeschichte seitens Staat undKirche ist jetzt hochoffiziell abgeschlossen. Die Besessenheit von Theres wie auch alle Erscheinungen und Offenbarungen Mariens – alles nur vorgetäuscht, wissentlich gedeckt von unserem Pfarrer! Und leider seien wir Oberländer Katholiken allzu roh und einfältig im Glauben, um diese Täuschung zu durchschauen. Dieser saubere Bischof hat in einem Hirtenbrief die Dinge offiziell als Lug und Trug verurteilt. Patriz Seibold ist nun unwiderruflich entlassen und sein Nachfolger ins Weissenauer Amt bestellt.»
Er ließ sich auf die Eckbank sinken.
«Wir haben verloren. Ich fürchte, Theres, als Nächstes bist du dran.»
29
Ravensburg und Voglerhof, Winter 1849/1850
«Mädle, so iss doch! Sonst hältst das hier net durch.»
Theres starrte erst auf die graugrüne Erbsensuppe vor ihr, in der ein paar Speckstückchen schwammen, dann auf das alte Weib gegenüber.
«Vielleicht will ich’s ja gar nicht.»
Sie schob ihren Napf von sich und lehnte sich zurück. Ihr schwindelte leicht. Seit zwei Wochen hatte sie nichts als Wasser und Brot zu sich genommen, hatte alles andere verweigert. Inzwischen vermochte sie in der Strickstube kaum noch die Nadeln zu halten.
«Vielleicht will ich gar nicht durchhalten», wiederholte sie leise.
Kopfschüttelnd fuhr die Alte fort, ihre Suppe zu schlürfen.
«Krieg ich dann wieder deinen Napf?», fragte das Mädchen neben Theres.
«Nimm nur.»
Sie schob der Kleinen ihren Napf hin.
«Danke. Bist doch so was wie eine Heilige. Egal, was sonst so geschwätzt wird.»
«Hör auf damit!», zischte Theres. «Sag das nie wieder.»
«Ruhe dahinten!» Die Aufseherin hob ihr Stöckchen, mit dem sie hin und wieder Tatzen verteilte, wenn es ihr im Speisesaal zu laut wurde.
Nach dem Dankgebet erhob sich Theres mühsam und folgte den anderen Frauen in die Strickstube. Morgen sollte sie zur Zwangsarbeit ins Bruderhaus eingewiesen werden, aber auch das war ihr gleichgültig. Alles war ihr mehr oder weniger gleichgültig, seit jenem Morgen Ende Oktober, als die schier unglaubliche Nachricht sie erreicht hatte: Patriz Seibold war frei! Auch wenn er nicht mehr ihr Pfarrer sein durfte – er war frei, durfte sich bewegen, wie er wollte, und vor allem: Am nächsten Tag schon sollte er auf dem Voglerhof eintreffen. Alle waren sie außer sich vor Freude gewesen, hatten sich in den Armen gelegen, gesungen, getanzt, gebetet, und Theres hatte sich irgendwann ins Dunkel des Kuhstalls zurückgezogen und vor Glück geweint. Danach hatte sie sich, wie alle anderen, an die Arbeit gemacht. Metzler hatte befohlen, ein paar Hühner zu schlachten und Brot und Kuchen zu backen, da man den Pfarrer gewiss erst mal ordentlich aufpäppeln müsse. Gegen Abend dann hatte Else Metzler sie gebeten, ihr einen Eimer Wasser zu holen, weil ihr die Hex ins Kreuz gefahren sei.
Da war Theres in die neblige Dunkelheit hinaus, leise vor sich hin singend, und hatte die Männer nicht einmal gesehen, die hinter dem Brunnen auf sie gewartet hatten. Zu viert waren sie gewesen und bewaffnet, als müssten sie eine Horde Straßenräuber überwältigen. Theres wollte schreien, doch da patschte schon eine kräftige Hand auf ihren Mund, sie wurde geknebeltund gefesselt und auf einen Maultierkarren verfrachtet, der im vollen Galopp mit ihr in der Nacht verschwand.
Zwei Dinge waren ihr in den ersten Tagen im Ravensburger Spital nach und nach klar geworden: dass man ganz offensichtlich verhindern wollte, dass sie und Patriz Seibold zusammentrafen. Und dass Else Metzler sie in einen Hinterhalt gelockt hatte. Sie musste gewusst haben, wer da im Nebel am Brunnen auf sie gewartet hatte. Aber sie konnte der Frau nicht einmal böse sein. Weitaus mehr beschäftigte sie der Gedanke, was mit Patriz Seibold war, wo er nun wohnte, was er tat. Vor allem, ob er manchmal an sie dachte. Im Weissenauer Pfarrhaus war
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