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Die Bettelprophetin

Die Bettelprophetin

Titel: Die Bettelprophetin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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ihren Wanderungen weder Hunger noch Eisregen noch die schmerzenden Beine spüren.
    Außer Sichtweite der Müllersleute hatten sie sich damals verabschiedet und ein letztes Mal in die Arme genommen, ein wenig verlegen zunächst wegen jenes leidenschaftlichen Kusses im Schnee. Dann aber hatten sie einander gehalten wie zwei Ertrinkende, in fast schon verzweifelter Umklammerung.
    «Sobald es meinem Bruder bessergeht, lass ich es dich wissen», hatte er ihr versprochen.
    Allein der Gedanke, ihn bald wiederzusehen, ließ ihr Herz jetzt heftig schlagen. Sie faltete das Papier zusammen und überlegte, wie sie von hier aus, einem Weiler nahe dem Altdorfer Wald, am besten zu Konzet gelangen würde. Nach ihrer Schätzung befand sie sich eine Wegstunde östlich von Ravensburg. Am bequemsten und schnellsten wäre es, drunten im Schussental die Handelsstraße nach Norden zu nehmen, mit ihren vielen Fuhrwerken als Mitfahrmöglichkeit. Allerdings war das auch der sicherste Weg, einer Landjägerpatrouille in die Arme zu laufen. Nein, sie würde hier oben in den Hügeln bleiben, auf Feldwegen und Nebenstraßen, auch wenn sie dann die ganze Strecke zu Fuß gehen musste und dafür wohl zwei volle Tage brauchen würde. Durch das Tauwetter nämlich, das inzwischen eingesetzt hatte, waren die zumeist unbefestigten Sträßchen für Pferd und Wagen fast unpassierbar.
    «Was schreibt er denn, der Herr Pfarrer?»
    Theres fuhr herum. Die Bäuerin stand im Tor zum Heuschober und sah sie neugierig an.
    «Von seinem kranken Bruder. Und dass er bald wieder heraufkommt zu uns ins Oberland.»
    «Das ist gut.» Die Frau nickte. «Übrigens, Theres: Morgen geht’s zu meinem Vetter rüber nach Grünkraut. Und morgen ist Sonntag.»
    Sie strahlte.
    «Mein Vetter hat alle zum Gottesdienst in seine große Scheune geladen! Die Weissenauer, die Eschacher, die Tettnanger und natürlich den Metzler und seine Leut. Alle werden sie kommen, und dann erscheinst
du
mit uns, zur großen Überraschung! Weil – es weiß ja kaum einer, wo du steckst. Ist das nicht wundervoll?»
    Theres nickte nur. Sofort war ihr Patriz’ Warnung in den Sinn gekommen: Am Voglerhof gebe es eine undichte Stelle. Am besten war es wohl, gleich morgen, noch vor Sonnenaufgang, von hier zu verschwinden, und zwar ohne die Bauersfrau in ihren Reiseplan einzuweihen. Womöglich würde sie es an falscher Stelle weiterplaudern. Wenigstens hatte sie ihr Nachtquartier hier im Heuschober und nicht drüben in dem winzigen Häuschen, sodass sie sich unbemerkt davonschleichen konnte. Nur: Was würde man morgen früh beim Gottesdienst denken, wenn es hieß, Theres Ludwig sei spurlos verschwunden?
    Sie seufzte. Die braven Bauersleute hier taten ihr jetzt schon leid. Vielleicht sollte sie ihnen eine Nachricht hinterlassen, dass sie mit dem Pfarrer auf dem Weg zum König war, in der Hoffnung um Beistand.
    «Willst net doch lieber bei uns im Haus schlafen?»
    «Das ist lieb von dir. Aber es ist eng bei euch, und hier habich’s weich und warm von den Kühen untendran. Ihr habt schon genug für mich getan.»
    «Dann also gute Nacht. Und schlaf wohl.»
    «Schlaf wohl. Und behüt euch Gott.»
     
    Sie hatte nur wenig geschlafen, aus Furcht, zu spät zu erwachen. Kein Mond, kein einziger Stern stand am Himmel, alles war stockdunkle Nacht, als sie sich hinausschlich. So hatte sie Mühe, überhaupt ihren Weg zum Hof hinauszufinden, ohne gegen Dreschflegel, Handkarren oder sonstige Gerätschaften zu stoßen. Oben auf der Hügelkuppe sah sie zu ihrer Erleichterung, wie sich der Himmel hinter dem Wäldchen aufhellte. Jetzt wusste sie wenigstens, welche Richtung sie einschlagen musste, und konnte losmarschieren. Bevor ihre Gastgeber sie vermissten, wollte sie schon ein gutes Stück weg sein vom Hof.
    Bei Sonnenaufgang hatte sie bereits das nächste Dorf erreicht. Im letzten Moment erst wurde ihr klar, dass sie sich besser von jeglichen Ansiedlungen fernhielt, da sie hier in der Gegend um Ravensburg und Altdorf natürlich bekannt war wie ein bunter Hund. So schlug sie den Pfad weg vom Dorf ein, der auf den Altdorfer Forst zu führte, und kam sich vor wie eine Verbrecherin auf der Flucht. Im schlimmsten Fall, wenn einer der Bauersleute sie erkannte, würde sie lügen müssen: dass sie auf dem Weg zu ihrem nächsten Obdach sei, ihr Ziel aber nicht verraten dürfe. Wenigstens versprach es ein sonniger Tag zu werden. Das würde es ihr sehr erleichtern, die nördliche Himmelsrichtung einzuhalten.
    Sie kam bis an einen

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