Die Bettelprophetin
«Ich weiß.»
Schweigsam gingen sie weiter. Als es Zeit wurde, umzukehren, hielt er sie am Arm fest.
«Weißt du, dass es wegen dem Glauben bei uns schon die blutigsten Kriege gegeben hat?» Selbst durch den Stoff ihres Umhangs spürte sie die Wärme seiner Hand. «Dass sich Freunde und Nachbarn deshalb erstochen und erschlagen haben?»
«Auch hier bei uns?»
«Natürlich, überall. Aber solche Zeiten sind vorbei.» Jetzt lachte er fröhlich. «Es war schön, so still neben dir herzugehen. Als ob wir uns schon ewig kennen.»
Theres spürte, wie ihr Herz schneller schlug. «Ich muss los. Ich komm sonst zu spät zur Christenlehr.»
Sie trafen sich fortan jeden Sonntagmittag hinter der Werkstatt des Sattlers, wo das freie Feld begann. Bei Wind und Wetter wanderten sie hinaus und kehrten oft genug mit klatschnassen Strümpfen und schlammverspritzten Schuhen heim. Wenn Theres dann zur Christenlehre erschien, mit geröteten Wangen unter der Wollmütze, musste sie sich manche freche Bemerkung gefallen lassen. Das scherte sie nicht, schließlich hatte sie solche Häme schon einmal erlebt, damals mit Urle. Und erfahren, dass dadurch eine Freundschaft nur noch enger wurde. Manchmal sprachen sie und Elie über lange Strecken kein Wortmiteinander, und das waren dann die Augenblicke, wo Theres sich wünschte, er würde sie bei der Hand nehmen.
Das tat er indessen nie. Aber auch so fieberte sie jede Woche dem Sonntag entgegen. Obwohl durch Elie der Winter seinen Schrecken verloren hatte, freute sie sich, als die Tage langsam, aber stetig milder wurden und länger. Sie begann wieder, bei der Arbeit zu singen – und diesmal nicht, um gegen die Stille anzukämpfen, sondern aus reiner Freude. Einmal legte ihr Elisabetha ein Blatt Papier auf den Küchentisch, auf das sie ein lachendes Gesicht gemalt hatte, ein Bubengesicht mit struppigem kurzem Haar. Dabei hatte sie Theres fragend angesehen. Theres war rot angelaufen, woraufhin Elisabetha drohend den Zeigefinger erhoben hatte, halb im Scherz, halb im Ernst. Ihr Dienstherr hingegen schien von alledem überhaupt nichts mitzubekommen, und darüber war Theres heilfroh.
Im März dann hatten sie sich zwei Sonntage hintereinander nicht sehen können, weil der Leinenweber, bei dem Elias als Taglöhner arbeitete, krank war und er bei der liegengebliebenen Arbeit aushelfen musste. Dafür belohnte sie das Schicksal beim nächsten Mal mit herrlichem Frühlingswetter. An den Waldrändern blühten die ersten Veilchen, die sonnenbeschienenen Wiesen luden zum Rasten ein.
Sie setzten sich nahe der Dürnach, die sich jetzt nach der Schneeschmelze wie ein richtiger kleiner Fluss gebärdete, auf einen Stein. Auf Elies Drängen hin erzählte Theres zum ersten Mal aus ihrer Kindheit, wobei sie ihre Mutter mit keinem Wort erwähnte. Dafür sprach sie umso mehr von ihrem Bruder.
«Ich glaub, du und Hannes, ihr würdet euch gut verstehen!»
Elias grinste, dann nickte er. «Wann siehst du ihn wieder?»
«Im Sommer – wenn es der Pfarrer erlaubt.»
«Dann komm ich mit. Wenn du das willst, natürlich.»
«Glaubst wohl, ich brauch einen Beschützer?»
«Nein. Aber vielleicht würd es dir ja gefallen, wenn ich dabei wär. Also?»
Theres blinzelte gegen den Himmel, der jetzt am Nachmittag zartblau glänzte. Genau wie Elies Augen.
«Ja. Das wär schön!» Sie senkte verlegen den Kopf, als sie merkte, wie Elie sie betrachtete.
«Theres?»
«Ja?»
«Darf ich dir einmal die Haube runternehmen? – Bitte!»
Noch ehe sie etwas entgegnen konnte, begann er das Band zu lösen, wobei seine Finger wie absichtslos ihr Kinn und ihre Wangen berührten. Dann zog er vorsichtig die Nadeln heraus, bis ihr Haar in dichten Wellen über den Rücken fiel.
«Du hast so schönes Haar. Es glänzt in der Sonne wie dunkles Gold.»
Seine Finger glitten durch ihr Haar. Ein Schauer fuhr Theres durch jede Faser ihres Körpers.
«Es gibt überhaupt kein dunkles Gold», sagte sie mit belegter Stimme und erhob sich. «Jetzt komm. Wir müssen ins Dorf zurück.»
In dieser Nacht konnte Theres nicht einschlafen. Sie wälzte sich von einer Seite auf die andere, hatte andauernd Elies Lachen vor Augen, das so lustige Grübchen in sein Gesicht zauberte, spürte seine Hände auf ihrem Gesicht, in ihrem Haar. Am Morgen fühlte sie sich erschöpft wie nach einer langen Wanderung, aber in ihrem Innern brannte ein Glücksgefühl, das sie in dieser Art nie zuvor gespürt hatte.
Gegen Mittag kehrte Konzet aus der Schule
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