Die Bettelprophetin
zurück, und Theres bemerkte sofort, dass etwas passiert war. Sein kleines, rundes Gesicht war rot vor Wut, als er sie in die Stube befahl.
«Wie lange geht das schon?»
«Was?», stieß sie hervor.
«Frag nicht so scheinheilig! Das mit diesem Elias.»
«Aber …»
«Nichts aber! Bist du eigentlich von Sinnen? Dich in deinem Alter schon mit Kerlen rumzutreiben?» Er schnaufte so heftig, als bekäme er keine Luft mehr. «Du hast schon einmal mein Vertrauen missbraucht, und jetzt das! Das ganze Dorf spricht darüber. Dazu noch mit diesem Heiden, diesem Taglöhner, der nicht mal die Schule fertig gemacht hat! Ich sag’s dir, wenn ich dich einmal mit ihm erwische …»
Er hob die Hand, als wolle er sie schlagen. Dann ließ er den Arm wieder sinken.
«Du hast mich zutiefst enttäuscht, Theres.» Seine Stimme war nun wieder so leise wie gewöhnlich. «Künftig bleibst du sonntags zu Hause. Du gehst nur noch in meiner oder Elisabethas Begleitung raus, verstanden?»
Theres nickte stumm.
«Und jetzt ab in die Küche. Ich will dich für heute nicht mehr sehen.»
Elisabetha, die offensichtlich alles mit angehört hatte, nahm sie tröstend in die Arme, und Theres fing an zu weinen.
«Wie gemein er ist!», schluchzte sie. «Wir haben nichts Böses getan, wir waren immer nur spazieren.»
An diesem Tag beschäftigte sie nur noch ein einziger Gedanke: Ob es nicht das Beste wäre, von hier wegzugehen.
Als Konzet am Abend zum Adler hinüberstapfte, setzte sie sich auf die Türschwelle und starrte in die kalte, sternenklare Nacht. Plötzlich zuckte sie zusammen. Ein Steinchen landete vor ihren Füßen, dann ein zweites.
«Pssst!», hörte sie es linker Hand. Ihre Augen suchten das Dunkel neben dem Pfarrhaus ab. Hinter dem Holderbuschtauchte für einen kurzen Augenblick ein Gesicht auf – es war Elie!
Sie sprang auf und rannte hinter den Strauch.
«Elie!», flüsterte sie, doch er legte ihr den Finger auf die Lippen und zog sie hinter einen Schuppen abseits der Gasse.
«Der Pfarrer war heut bei meiner Mutter. Er war so wütend, dass sie geheult hat. Hör zu, Theres, wir dürfen uns nur noch heimlich treffen.»
«Aber – das geht nicht. Ich darf nicht mehr aus dem Haus.»
«Keine Sorge. Mir wird schon was einfallen.»
Sie schüttelte den Kopf. Was konnte er schon ausrichten, wenn sie wie eine Gefangene gehalten wurde?
Er griff nach ihrer Hand. Als hätte er ihre Gedanken gelesen, sagte er: «Der Pfaffe darf dich gar nicht einsperren», und strich ihr über die Wange. «Du willst doch auch, dass wir uns sehen, oder?»
«Ja.»
«Wir warten einfach eine Zeit lang ab. Mir wird schon eine Idee kommen, wie wir uns heimlich treffen können, glaub mir.»
Dann hauchte er ihr einen Kuss mitten auf den Mund und verschwand in der Dunkelheit.
Zwei Wochen später kehrte Theres nach dem Sonntagsgottesdienst zusammen mit Konzet ins Pfarrhaus zurück. Der Mittagstisch stand schon bereit, und Konzet wartete noch, bis sich Elisabetha auf den Weg zu ihrer Schwester gemacht hatte.
Er forderte Theres auf, das Tischgebet zu sprechen, danach schöpfte er mit einem Lächeln die beiden Teller voll.
«Nun, Theres, ich mag dir wohl ein wenig streng erschienen sein die letzten zwei Wochen. Aber du musst verstehen: Du bist noch sehr jung, und du stehst unter meinem Schutz. Ich willnur das Beste für dich.» Er machte eine kleine Pause, um zu essen, während Theres ihren Löffel erst gar nicht anrührte. Wie erstarrt wartete sie auf das, was nun folgen würde.
«Auch Elias’ Mutter», fuhr der Pfarrer fort, «will das Beste für ihren Sohn. Und heimisch gefühlt hat sie sich ja schon längst nicht mehr in unserem Dorf. Heute nun ziehen sie weg, nach Wilhelmsdorf.»
«Wilhelmsdorf», wiederholte Theres tonlos, ohne zu begreifen, was sie da eben gehört hatte.
«Ganz genau. Zu den stillen Leuten, zur pietistischen Brüdergemeinde. Dort sind sie unter ihresgleichen, und Elias wird noch einmal zur Schule gehen.»
Theres war aufgesprungen. Mit lautem Gepolter fiel hinter ihr der Stuhl zu Boden.
«Halt! Wo willst du hin?»
Sie hatte die Klinke der Haustür schon in der Hand, als Konzet sie zurückriss.
«Bleibst du wohl hier!»
«Lassen Sie mich los, ich muss zu Elias!»
«Jetzt hab ich aber genug, du undankbares Gör!»
Mit eisernem Griff hielt er ihre Handgelenke umklammert und schleifte sie hinter sich her durch Flur und Küche, stieß mit dem Fuß die Tür zur Vorratskammer auf und drückte sie dort mit der ganzen Kraft
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