Die Bettelprophetin
seines kleinen, dicken Körpers zu Boden.
«So!» Krachend flog hinter ihr die Tür ins Schloss, der Riegel wurde vorgeschoben.
«Dadrinnen bleibst du, bis du zur Vernunft gekommen bist», hörte sie ihn durch die Tür rufen. «Und wenn es Wochen dauert.»
12
Im Pfarrhaus bei Biberach, Sommer 1839
Dass Elie mit seiner Familie von einem Tag auf den andern aus dem Dorf verschwunden war, hatte Theres getroffen wie ein Keulenhieb. Fast noch schlimmer aber war, dass er ihr keinerlei Nachricht hinterlassen hatte, keinen Brief, keine Grüße, kein gar nichts!
Elisabetha hatte sie am nächsten Vormittag, als Konzet drüben im Schulhaus war, aus ihrem Gefängnis befreit. Nachdem ihr Theres versprechen musste, keine Dummheiten zu machen, rannte sie sogleich zu dem alten Nussbaum, der oberhalb des Dorfes am Wegrand stand. In einem der Astlöcher hatten sie und Elie sich kleine Zettel mit Nachrichten hinterlegt. Doch sie fand nichts. Danach suchte sie die Müllersfrau auf und fragte sie, ob Elie etwas für sie hinterlassen habe.
Die schüttelte den Kopf. «Bin froh, dass die weg sind. Meine Schwägerin hat eh net herpasst.»
Theres ließ die Frau, die noch irgendetwas vor sich hin bruddelte, stehen und ging langsam, mit gesenktem Kopf, nach Hause. Geweint hatte sie genug, all die Stunden in der Vorratskammer. Jetzt fühlte sie nur noch eine stille Verzweiflung in sich. Wahrscheinlich hatte sie Elias überhaupt nichts bedeutet.
Die Wochen vergingen, und das Leben im Pfarrhof war eintönig und öd wie eh und je. Über ein Jahr war sie nun schon bei Konzet in Stellung, doch es kam ihr vor wie zehn Jahre. Im Mai dann erhielt sie einen Brief von Sophie, in dem ihre Freundin in glühender Begeisterung von ihrem Verehrer schrieb, einem jungen, feschen Kaufmannssohn. Am Schluss dann stand noch der Satz, dass die Schönfärbers in Ravensburg schon wieder ein Mädchen suchten, da die eben erst eingestellte Magd nachwenigen Wochen auf und davon sei. Das sei wirklich nicht weit von Tettnang entfernt, wo sie, Sophie, angestellt sei. Wie schön wäre es doch, wenn die beiden Freundinnen näher beieinander wohnten und sich somit regelmäßig sehen könnten.
Für einen winzigen Moment war Theres versucht, diese Möglichkeit wahrzunehmen. Dann aber gewann das Gefühl von Mutlosigkeit, das sie seit Elias’ Wegzug in den Fängen hielt, wieder die Oberhand. Ihr war, als würde das schwerfällige, düstere Wesen von Pfarrer Konzet immer mehr auf sie abfärben, und sie vermochte sich nicht dagegen zu wehren. Seinen Gottesdienst besuchte sie nur noch mit Widerwillen, konnte all die Worte von Christenliebe, Seelenfrieden und Heilserwartung kaum mehr ertragen, so falsch klangen sie ihr in den Ohren. Ebenso wenig vermochte sie der Anblick der Natur noch zu berühren. Alles um sie herum grünte und blühte und duftete wie ihr zum Hohn, die Sonne blendete, statt zu wärmen, der Gesang der Vögel klang wie Geschnatter und Gequake. Widerwillig verrichtete sie ihre Arbeit, benötigte für jeden Handgriff die zweifache Zeit, und wie immer schien der Pfarrer hiervon nichts zu bemerken.
«Bring noch ein Gedeck für unsern Gast, Theres. Und dann richte das Gästezimmer her. Sie bleiben doch über Nacht, werter Herr Seibold?»
«Gerne.» Der Fremde lächelte. «Ich fürchte, bei diesem Gewittersturm komme ich nicht mal bis Biberach.»
Wie um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, krachte draußen erneut ein Donnerschlag. Theres, die im Türrahmen zur Stube stand, zuckte zusammen.
«Hast du Angst vor Gewitter?», fragte der Mann, der Seibold hieß. Er war wesentlich jünger als Peter Konzet, etwa um die dreißig, dabei nicht allzu groß, schlank und von aufrechterGestalt. Das schmale Gesicht war glattrasiert, und die hellen Augen, die Theres jetzt aufmerksam betrachteten, standen in auffallendem Gegensatz zu seinem dunklen, kurzgeschnittenen Haar.
«Ein bisschen», murmelte Theres.
«Das musst du nicht.» Sein Lächeln war warm, ohne jede Spur von Spott. «In Gesellschaft von uns zwei Gottesmännern wird dir schon nichts geschehen.»
«Sie sind auch Pfarrer?»
«Ja, in einer kleinen Gemeinde, im Oberamt Ravensburg. Ach, ich hab mich dir noch gar nicht vorgestellt. Patriz Seibold heiß ich. Und du bist die Theres, nicht wahr?»
«Ja.» Theres war von der offenen, freundlichen Art des Fremden verwirrt. Ihr entging nicht Konzets missbilligender Blick. Sie kannte ihren Dienstherrn inzwischen gut genug, um zu verstehen, was ihm hier nicht
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