Die Bettgeschichte (T-FLAC) (German Edition)
auch gekümmert?«
»Natürlich.« Sie blickte auf. Jake betrachtete sie konzentriert. Marnie versuchte sich an einem aufmunternden Lächeln, schluckte und beugte sich wieder über die Wunde.
»Manchmal war es wirklich zum Schreien. Da stand diese kleine, alte Lady und schimpfte meine riesengroßen Brüder aus. Die Jungs bekamen rote Köpfe und schlotterten vor Angst, du hättest das sehen sollen. Sie brauchte noch nicht einmal die Stimme zu heben.«
Marnie wischte sich mit der Schulter den Schweiß von der Wange. »Sie fehlt mir so.« Eintauchen. Auswinden. Abtupfen. »Ich würde am liebsten eine ganze Woche lang durchheulen, um diesen dumpfen Druck loszuwerden.«
»Hast du noch nicht geweint?«
»Nicht richtig. Aber da ist eine ganze Flut von Tränen, die endlich heraus will.«
»Als deine Mutter gestorben ist, hast du da geweint?«
»Und wie. Aber damals war ich sechs Jahre alt. Sie hat mich an meinem ersten Schultag zur Schule gefahren und hatte auf der Heimfahrt den Unfall.« Marnie schaute hoch und sah Jake sie ansehen. »Der andere Fahrer war betrunken. Sie war auf der Stelle tot.«
»Scheiße.«
»Ich würde nicht sagen, dass es leicht war, keine Mutter zu haben, aber es hat mir an nichts gefehlt. Dafür haben Papa, Großmama und die Musketiere schon gesorgt.«
»Kein Wunder, dass dein Vater und deine Brüder sich so um dich sorgen. Ein Herzfehler, all die Operationen und die Mutter verloren. Ich kann schon verstehen, warum sie möchten, dass du möglichst stressfrei lebst.«
»Die Sorge um mich hat ihnen, glaube ich, auch über Mutters Tod hinweggeholfen. Und ich habe sie immer in dem Glauben gelassen, ihre Hilfe zu brauchen. Auch als das schon nicht mehr stimmte. Nicht dass ich mich verstellt hätte. Aber ich habe ihre Ratschläge immer befolgt, weil ich wusste, dass sie dann beruhigt sind. Es wurde mir zur Gewohnheit. Zur schlechten Gewohnheit. Deswegen will ich mich auch unbedingt -verändern - Na ja.«
Ihr Stimme war belegt. Sie quasselte wie eine Idiotin. Ausgerechnet jetzt von Großmutter zu erzählen. Jake hätte da draußen sterben können.
Das Letzte, worüber sie jetzt reden wollte, war der Tod. Wessen Tod auch immer. Der Kummer drückte ihr das Herz ab und wollte freien Lauf. Ihre Augen brannten, ihre Haut prickelte, und sie musste wieder schlucken.
»Wie geht es jetzt weiter?«, fragte sie mit rauer Stimme. Die Wunde sah sauber aus. Schlimm, aber sauber. Marnie zerfloss beinahe vor Mitleid, aber die Tränen wollten nicht heraus. Jetzt war ohnehin nicht der richtige Zeitpunkt.
Jake erklärte ihr geduldig, was sie mit den neunundneunzig Meilen Verbandstoff anfangen sollte, die sie mit nervösen Fingern abgewickelt hatte. Sie entwirrte zittrig das Wirrwarr, rollte das meiste wieder auf und hielt sich an seine Instruktionen.
Sie senkte den Kopf und schluckte die Tränen hinunter. »Jetzt bist du dran mit Erzählen.«
»Ich fürchte, ich bin nicht sehr unterhaltsam.«
»Das ist mir egal. Fang einfach an. Wo bist du aufgewachsen?«
»Stadtrand von Chicago. Arbeiterviertel.«
»Jake, muss man dir alles aus der Nase ziehen? Was hat dein Vater getan?«
»Mir? Nichts. Er hat mir absolut nichts getan.«
»Nein. Ich meine beruflich «, sagte Marnie liebevoll.
»Er hat von der Sozialhilfe gelebt. Er war arbeitsunfähig wegen eines Unfalls, den er auf einer Baustelle hatte. In Wirklichkeit war er gesund wie ein Pferd, wenn man davon absieht, dass er Kettenraucher war und sich um den Verstand gesoffen hat. Er saß den ganzen Tag vor dem Fernseher und hat Game-shows geschaut. Und hat dafür seinen Scheck bekommen. Etwas anderes hat er nie getan.«
Das Ganze erschien Marnie wie ein schlechter Film. Der Druck auf ihrer Brust nahm ständig zu. »Und deine Mutter?« Bitte sag mir, sie hat dich geliebt und gutgemacht, was dein Vater an dir versäumt hat .
»Sie hat keine Sozialhilfe bekommen.«
»Was soll das heißen?«
»Sie war genau wie en Sie hat nur nicht jede Woche einen Scheck dafür bekommen.«
»Das ist Kindsmissbrauch!«
»Sie haben nie die Hand gegen mich erhoben.«
»Aber sie haben sich nicht um dich gekümmert. Das ist eine Form des Missbrauchs, Jake.« Sie musste ihm einfach übers Gesicht streicheln. Seine Wange war warm und stoppelig. Sie hätte ihn gerne geküsst, aber sie musste ihn noch verbinden. Und Jake sah nicht gerade aus, als wolle er bemitleidet werden.
»Du bist also von zu Hause fortgegangen und zur Navy. Du hast gesagt, du warst erst sechzehn
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