Die Bettgeschichten der Meisterköche: Roman (German Edition)
froh, schnell aus dem Haus zu kommen. Obwohl er noch reichlich Zeit hatte, schlang er sein Essen herunter und stülpte sich seine rote Baseballcap auf den Kopf. Sein Elan und seine Aufregung trugen ihn zügig die Featherhall Road hoch zur St John’s Road, wo er die Linie 12 näher kommen sah. Er sprintete zur Bushaltestelle, fand glücklicherweise einen Sitzplatz und starrte durch die beschlagene Scheibe auf die kalte, klamme Stadt. Sie krochen im zähen Verkehr am Zoo vorbei, dann weiter bis Western Corner, Roseburn, Haymarket und über die Princes Street, bis er an der Waverley Station ausstieg und durch die Cockburn Street zur Royal Mile ging. Er nahm die rote Baseballcap mit dem aufgestickten Vereinslogo vom Kopf, weil sie nicht zum Anzug passte, und stopfte sie in seine Aktentasche.
Seine hastige Flucht von zu Hause hatte ihn aufgewärmt, doch als er den Bus verließ, machte sich die feuchte morgendliche Kälte bemerkbar. Während er spürte, wie der Sprühregen und der Nebel langsam seine Kleidung durchnässten, musste er daran denken, dass es manchmal so war, als ginge man in eine kalte Sauna, wenn man in Schottland das Haus verließ. Um noch ein wenig Zeit totzuschlagen, schlenderte er ein bisschen über die Royal Mile. Im Zeitschriftenladen kaufte er sich den Game Informer vom lau fenden Monat und packte ihn in seine Aktentasche. Dann ging er in eine Seitenstraße und spürte ein Flattern im Bauch, als er eins seiner Lieblingsgeschäfte mit dem altmodischen, handgemalten Schild sah:
A.T. Wilson Hobbies and Pastimes
Brian dachte daran, wie gerne ihn sein Dad wegen seiner häufigen Einkäufe gerade in diesem Laden aufgezogen hatte. »Na, gehst du immer noch in das Spielzeuggeschäft, Junge? Bist du nich n bisschen alt dafür?« Dann lachte Keith Kibby, doch darin schwang oft etwas Höhnisch-Verächtliches mit, und das beschämte seinen Sohn, der seine Anschaffungen von da an lieber verheimlichte.
Die Modelleisenbahn auf dem Dachboden der Kibbys war beeindruckend, auch wenn nicht viele Menschen das Privileg gehabt hatten, sie zu sehen, da Brian kaum jemanden kannte. Als Lokführer hatte Keith Kibby anfangs geglaubt, sein Sohn teile seine Begeisterung für Lokomotiven, später aber enttäuscht erkennen müssen, dass dessen Begeisterung ausschließlich Modell eisenbahnen galt. Doch in dem unglückseligen Versuch, ihn in diesem Hobby zu bestärken, hatte sein Vater, ein begeisterter Heimwerker, auf dem Dachboden schon einen Fußboden verlegt, die Aluminiumleiter angebracht und Licht installiert.
Brian Kibby hatte das Geschick seines Vaters für Holzarbeiten geerbt. Keith’ Schreinerwerkbank hatte auf der einen Seite des Dachbodens Platz gefunden, bis er zu krank geworden war, um jedes Mal die Leiter hochzusteigen, und in den Gartenschuppen umgezogen war. Seitdem stand der komplette Dachboden der Modelleisenbahnlandschaft von Brian zur Verfügung, abgesehen von ein paar Schränken, in denen altes Spielzeug und Bücher aufbewahrt wurden, und zahllosen Regalen, in denen er seine Gamer-Zeitschriften archivierte.
Nur äußerst selten ging jemand anderer nach dort oben, und so wurde der Dachboden zu Brians Zuflucht, ein Refugium, wenn er in der Schule schikaniert worden war oder über irgendwelche Dinge oder Mädchen nachdenken musste. Zahllos die Abende einsamen, schmählichen Masturbierens, in denen die Mädchen aus seiner Nachbarschaft oder von der Schule nackt oder nur spärlich bekleidet seine überhitzte Phantasie bevölkerten, Mädchen, die er in Wirklichkeit kaum anzuschauen, geschweige denn anzusprechen wagte.
Doch die alles beherrschende Leidenschaft war seine Modelleisenbahn. Auch dafür schämte er sich; das war so völlig ab von allem, was die anderen Jungs gerne machten oder zumindest behaupteten, gerne zu machen, dass die Freude, die sie ihm bereitete, nicht minder schuldgetrübt war als seine Wichsorgien. Infolgedessen wurde er im Kreise seiner Altersgenossen noch vorsichtiger und zurückhaltender und fühlte sich nur wirklich frei, wenn er auf seinem Dachboden war und Herr der Welt, die er selbst erschuf.
Keiths Scherze im Familienkreis, dass er »vom Dachboden vertrieben« worden sei, überspielten weit größere Sorgen, und nicht nur hinsichtlich seiner schwindenden Gesundheit. Er sorgte sich, dass er seinen Sohn mental in den Dachboden eingemauert hatte; dadurch, dass er diesen schüchternen Jungen in seinem Hobby bestärkt hatte, hatte er ihm einen Weg gezeigt, sich abzukapseln.
Als Brian
Weitere Kostenlose Bücher