Die Beute
klebte Dreck, und Corrines Pulli war schmutzig und zerrissen. Ihr Gesicht schmerzte. Ihr Kopf fühlte sich an, als säße er nicht richtig auf dem Hals, und an ihrem Körper klafften frische Wunden. Doch an ihrer Wut hatte sich nichts geändert. Das war ihre einzige Waffe.
Sie hörte, wie in der Küche ein Wasserhahn angestellt wurde. Sie wandte den Kopf und sah Travis am Spülbecken, wie er sich das Blut aus dem Gesicht wusch.
Sie dachte daran, wie sie ihn verletzt hatte. Bei der Erinnerung musste sie lächeln. Sie hatte schreckliche Angst da unten gehabt, doch die hatte sie auch schon verspürt, als sie heute Nachmittag durch die Tür gekommen war. Während sie Travis zusah, wurde ihr klar, dass sie jetzt keine Angst mehr hatte. Kane und Travis würden sie umbringen. Sie würden Louise und Hannah töten. Sie würde nie wieder ihre wunderbaren Kinder sehen. Und sie konnte nichts dagegen tun. Doch sie verspürte keine Angst.
Was sie spürte, war viel heißer und schärfer und füllte jede einzelne Zelle in ihr aus.
Sie malte sich den Ablauf aus: Wenn Kane unter der Scheune fertig war, würde Travis ihm erlauben, mit ihnen zu machen, was er wollte. Travis hatte sie und ihre Freundinnen die ganze Nacht nur dazu benutzt, um seinen Bruder zu erpressen. So wie man ein Kind mit Schokolade lockt, damit es sein Zimmer aufräumt, nur dass Kane zur Belohnung morden durfte. Doch zuerst musste er seinen Job erledigen. Travis befürchtete, dass ihnen die Zeit davonlief. Ganz egal, wie sehr Kane sich für die Verwirklichung seiner Gewaltfantasien ins Zeug legte, die Zeit würde knapp. Ihr fiel seine Drohung gegen Matt wieder ein.
Ich schlag dich windelweich und mach Hackfleisch aus dir .
Jodie sah zum Loch im Boden, dann zu Travis, der sich das Gesicht mit dem Hemd abwischte, und spürte, wie sie innerlich zu kochen begann.
Sie würde nicht in Angst sterben. Sie hatte sich in ihrem verdammten Leben viel zu oft vor anderen gefürchtet. Vor dem Schmerz, der ihr zugefügt werden konnte. Den Schreien, dem Blut und der Machtlosigkeit. Aber das war vorbei! Ein für alle Male verdammt noch mal vorbei!
»Jodie wartet im Gebüsch auf euch«, sagte Matt, als er Louise aufsetzte und sie an die Rückwand des Schrankes lehnte.
»Sie haben sie erwischt«, sagte Hannah.
»Nein, sie wartet im Gebüsch auf uns.«
»Hast du sie gesehen?«
Er zögerte kurz. »Ja.«
Hannah schlug die Hände vors Gesicht und atmete zitternd ein. »Oh, mein Gott. Ich dachte schon, sie hätten sie erwischt. Ich dachte schon, es wäre zu spät.« Sie blickte wieder zu ihm auf. »Was ist mit Corrine?«
Matt legte Louises Arm um seinen Hals. »Sie hat Kane die Nagelfeile reingerammt und ist dann losgerannt.«
Louise lächelte schwach.
Hannah schluckte. »Oh, Gott. Ist alles in Ordnung mit ihr?«
»Sie hat es ins Gebüsch geschafft. Das ist momentan der sicherste Ort. Da müsst ihr beide jetzt auch hin. Hannah, du musst mir helfen.«
Louise hob ihren Arm von seiner Schulter und sah ihre Hand an. »Herrgott, du blutest ja.«
»Ja, kommt, wir müssen los.«
Er hielt sie an der Tür zurück, kontrollierte das Schlafzimmer, legte einen Finger auf die Lippen und zeigte dann auf die Balkontür. Er machte sich Sorgen wegen der Geräusche, die ihre Schuhe auf dem Holzboden verursachen würden. Es war unmöglich, eine verletzte Frau geräuschlos durch einen Raum zu ziehen. Doch sie schafften es zur Balkontür und stützten Louise über die Veranda. Schmerz schoss in seinen Arm und lähmte seine Lungen. Er schnappte nach Luft, als sie die Stufen nahmen, doch er durfte nicht stehen bleiben. Er musste die Frauen so schnell wie möglich über die Lichtung bringen. Es war dunkel, aber nicht stockfinster. Kane oder Travis konnten ein Blutbad veranstalten, wenn sie von der Veranda auf sie losfeuerten. Momentan hörte er sie nicht. Er hörte nur sein eigenes Stöhnen und Louises gequältes Keuchen, als ihre Füße im Rhythmus seines Herzschlags auf das Gras fielen.
Die zwanzig Meter zum Gebüsch fühlten sich wie zwanzig Kilometer an. Als sie die erste Reihe Büsche durchbrochen hatten, setzte er Louise auf dem Boden ab, blickte sich um, sah zur Scheune hinauf und versuchte sich zu erinnern, wo er mit Jodie auf dem Boden gesessen hatte. Und wo Jodie auf sie wartete.
»Wir müssen tiefer ins Gebüsch hinein«, flüsterte er.
»Wo ist Jodie?«, fragte Hannah.
»Sie wartet weiter drinnen auf uns. Kannst du noch laufen, Louise?«
Sie antwortete einen Augenblick nicht.
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