Die Beute
Griff.
»Der war im Kofferraum. Ich habe ihn nur für den Fall rausgeholt, dass wir eine Waffe brauchen.«
»Sie hat sie damit bedroht«, sagte Hannah.
»Nein, habe ich nicht. Ich habe nur deutlich gemacht, dass ich ihn notfalls benutzen würde.«
»Ja, klar. ›Ich habe fünfundzwanzig Jahre Hockey gespielt, ich weiß, wie man so was benutzt.‹ Wenn das keine Drohung war, was dann?«
Corrine und Louise sahen Jodie erstaunt an.
»So habe ich das nicht gesagt. Außerdem haben sie uns bedroht.«
Hannah prustete spöttisch. »Sie sind rübergekommen, weil sie wissen wollten, woher das Licht kam. Sie sahen genauso bedrohlich wie Camper aus, die nach Feuerholz suchen.«
Wovon redete sie da? Sie hatten sie in der Dunkelheit doch kaum erkennen können, außerdem war etwas Bedrohliches von ihnen ausgegangen!
»Zwei stämmige Männer tauchen ohne Vorwarnung in der Dunkelheit auf und wollen zwei Frauen helfen, die ihrer Ansicht nach ganz allein hier oben sind. So was ist bedrohlich. Außerdem ist es mir ehrlich gesagt egal, ob ich dir eine Heidenangst eingejagt habe, Hannah, immer noch besser als die Alternative.« Sie erschauderte unfreiwillig. »Glaube mir, so ist es besser.«
9
Jodie starrte in die Stille, die dieser Erklärung folgte. Hannah blickte zu Boden. Corrine fummelte an dem Eisbeutel auf ihrem Schoß herum. Louise legte den Kopf auf die Seite und sah sie an.
Hannah stand am Kamin, ließ die Arme sinken, strich sich dann das Haar hinter die Ohren und versuchte versöhnlich zu klingen. »Okay, das war eine ziemlich seltsame Nacht, wir haben alle Hunger und sind müde.« Sie warf Jodie ein zaghaftes, freundliches Lächeln zu. »Und nach allem, womit du heute Nacht fertigwerden musstest, stehst du vermutlich noch ein wenig unter Schock. Da hätte ich auch überreagiert. Komm doch, und setz dich.«
Überreagiert? Das hatte ihr Exmann auch immer gesagt. Wut machte sich in ihrem Bauch breit. Hannah lag falsch, und Jodie war heilfroh, dass sie Hannah nichts von ihrem Flashback erzählt hatte. Sie war nicht paranoid. »Du hast mir nicht zugehört, das solltest du zu deiner eigenen Sicherheit aber besser tun. Verdammt noch mal, Hannah, meine Studentinnen hätten diese Situation besser analysiert als du. Ich habe nicht überreagiert. Mein Instinkt hat mir einfach gesagt, dass die Situation bedrohlich war. Wenn du nur ein wenig besser aufgepasst hättest, würdest du mir jetzt dafür danken, dass ich die Gefahr bemerkt habe, statt mir Übertreibung vorzuwerfen.«
Hannah sah weg und seufzte. Es war ein tiefer, ungläubiger Seufzer.
Jodie schloss ihre Hand fester um den Wagenheber. Das war doch unglaublich. Sie musste das Zimmer verlassen, bevor sie etwas sagte, das sie bereuen könnte, oder das Adrenalin in ihrem Körper sie in einen hässlichen Streit mit ihren Freundinnen verwickeln und das Wochenende ruinieren würde. Sie ging an dem Gepäck vorbei zum dunklen Flur, durch die Tür rechts und schloss sie hinter sich.
Es war das zweite Schlafzimmer. Zwei große Einzelbetten mit weißen Daunendecken standen darin. Boden und Wände waren aus Holz, und auf die Veranda gingen große Fenster hinaus. Keine Chance. Sie ging durch das Zimmer und zog die schweren weißen Vorhänge vor. Ihr Brustkorb hob und senkte sich, ihr Kiefer war gespannt, sie sah sich erneut im Zimmer um. Zwei alte Kommoden, Nachtkästchen, dekorative Fotos von nebligen Landschaften. Zum Henker mit der Entspannung. Sie war stinksauer. Hannah irrte sich. Sie hatte keine Angst. Sie folgte nur ihrem Instinkt. Sie …
Jodie sah den Spiegel, der über den beiden Kommoden hing. Besser gesagt ihr Spiegelbild, das sie daraus ansah – sie hatte die Arme weit von sich gestreckt, ein wilder Ausdruck lag in ihren Augen, und sie hielt noch immer den Wagenheber in der Hand. Eigentlich hielt sie ihn nicht, sondern fuchtelte wie mit einer Waffe damit herum.
Okay, vielleicht hatte sie nur ein wenig Angst.
Vielleicht ja auch mehr als nur ein wenig.
Sie warf den Wagenheber auf das nächstgelegene Bett, legte eine Hand auf den Mund und atmete tief ein. Dann noch einmal. Heute Nacht hatte sie Angst gehabt. Die ganze Nacht über. Sie konnte sie noch immer spüren. Wie ein Stein lag sie ihr im Magen und drückte auf ihren Bauch. Sie strich mit der Hand über ihren Magen und fühlte die Narben unter den Kleiderschichten mehr, als sie sie spüren konnte. Tränen stiegen ihr in die Augen, doch sie kämpfte dagegen an. Komm, Jodie, nicht weinen. Nicht wegen so
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