Die Beute
geschlagen und vergewaltigt worden ist. Ich habe so lange ihre Schreie gehört, bis sie ihr den Hals durchgeschnitten haben. Dann hat mir irgendwer ein Messer in den Bauch gerammt. Möchtest du wissen, wie es sich anfühlt, wenn man im eigenen Blut liegt? Oder wie es sich anfühlt, die beste Freundin zurücklassen zu müssen und sie ermordet wird?«
»Jodie, das ist ja furchtbar. Du willst mir nur Angst machen.«
»Nein, will ich nicht. Ich bin nur ehrlich. Du hast doch keine Ahnung. Und ich hoffe für dich, dass das so bleibt.« Jodie zitterte. Verdammt, warum mussten sie sie daran erinnern! Als machte das irgendeinen Unterschied. »Und jetzt, nachdem ihr all das wisst, ändert das irgendetwas? Ich glaube immer noch, dass jemand in unsere Scheune eingebrochen ist. Also, bin ich deshalb verrückt, Hannah?« Sie sah in Hannahs besorgtes Gesicht und wartete nicht auf eine Antwort. »Ehrlich gesagt, ich hab genug von eurem Mitgefühl und euren Ratschlägen und möchte offen gesagt jetzt lieber allein sein. Also, wer hat den Autoschlüssel?«
»Wozu brauchst du denn den Schlüssel?«, fragte Hannah herausfordernd.
Warum machte sie es ihr so schwer? »Ich will meinen Wagen von der Tankstelle abholen, das erscheint mir momentan amüsanter, als hier rumzuhängen.«
Hannah hob das Kinn. »Du solltest in dem Zustand vielleicht besser nicht Auto fahren.«
»Was zum Teufel soll das denn wieder heißen?«
»Du bist ziemlich durcheinander, Jodie.«
»Gib mir die verdammten Schlüssel.«
»Nein, nicht«, sagte Louise. »Sie sollte in diesem Zustand nicht fahren.«
»Lou hat recht«, sagte Hannah. »Was ist, wenn du hinterm Steuer wieder einen Flashback bekommst?«
Jodie spürte, wie ihr die Luft wegblieb. Irgendwas Heißes, Schweres füllte ihre Lungen. Sie presste die Lippen zusammen. »Oh mein Gott«, seufzte sie schließlich und fand, dass ihre Stimme seltsam ruhig klang. »Jetzt weiß ich, weshalb ich euch nie von Angela erzählt habe. Ihr seid genau wie James. Sobald ihr die Geschichte kennt, könnt ihr mir nicht mehr zuhören, ohne den ganzen Schrecken vor Augen zu haben. Aber versucht es mal so zu sehen. Ich habe achtzehn Jahre mit diesem Ereignis gelebt und bin auch ohne euren Rat zurechtgekommen. Also gebt mir den Schlüssel, dann bin ich nicht mehr eurer psychologisch begründeten Mitgefühlsduselei ausgesetzt und muss mir auch keine tollen Ratschläge anhören, was ich zu tun und zu lassen habe.«
Einen Augenblick sah es aus, als wollte Hannah sich weigern, ihr den Schlüssel auszuhändigen. Jodie starrte sie an und hoffte, ihn ihr nicht mit Gewalt entreißen zu müssen. Dann griff Hannah in ihre Jackentasche und knallte den Schlüssel auf den Tisch.
Jodie schnappte ihn sich, nahm ihre Tasche, die sie in eine Sofaecke geworfen hatte, kontrollierte kurz, ob jemand darin herumgewühlt hatte – sie schien in Ordnung, aber das musste nichts heißen –, und stürmte zur Tür hinaus. Sie war so außer sich vor Wut, dass sie am liebsten irgendwas getreten hätte. Ihre Hände zitterten, ihre Beine waren weich wie Wackelpudding, und als sie das Ende der Schotterstraße erreichte, hatte sie Tränen in den Augen. Einen Kilometer lang weinte sie so heftig, dass sie nichts mehr sehen konnte und nur noch nach Luft schnappte.
Noch bevor es ihr bewusst wurde, hatte sie die Kurve erreicht und drehte viel zu spät das Lenkrad nach rechts. Die Reifen schlitterten auf der linken Seite vom Asphalt und gruben sich in den rauen Splitt des Seitenstreifens. Sie stieg auf die Bremse, und das Gestrüpp am Straßenrand kratzte über den Autolack, als sie quietschend zum Stehen kam. Sie hörte auf zu weinen, das Adrenalin ließ ihre Fingerspitzen kribbeln. Zitternd stieg sie aus dem Wagen, ging um ihn herum und begutachtete den Schaden. Alles war in Ordnung. Sie war in Ordnung.
Verdammt, sie war völlig in Ordnung!
Sie hatte keinen Zusammenbruch, auf gar keinen Fall. Sie stapfte um den Wagen und trat gegen einen Reifen. Okay, vielleicht hätte sie nicht fahren sollen, aber ihre Freundinnen hatten sich einfach eingemischt. Was zum Teufel war bloß los mit ihnen? Jemand war in die Scheune eingebrochen, und sie dachten, Jodie sei verrückt. Nun, das war sie ganz und gar nicht. Sie war sauer, wütend und verärgert.
Sie trat noch einmal gegen den Reifen. Ihre Freundinnen hatten einfach beschlossen, sie hätte sich nach dem Flashback und ihrem Albtraum nicht mehr im Griff. Die hatten doch keine Ahnung, womit sie fertigwerden
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