Die Beute
zusammengekniffen. Es wurde wieder dunkel.
»Warte«, sagte er. Schmerz schoss in sein Knie, als er es bewegte. Er zog sein gesundes Bein unter dem verletzten hervor und stieß seinen Fuß gegen eine Flügeltür. Irgendetwas blockierte sie, doch schon eine geringe Bewegung reichte, um das Licht auszulösen. Eine einzelne Glühlampe hing an der Decke und warf kaltes Licht in den Raum. Jodie sah ihn an, und beide mussten blinzeln.
»Alles in Ordnung?«, fragte sie ruhig.
Gehirnerschütterung war definitiv eine Option. »Ja.«
Er sah sich um. Der Raum, in dem sie sich befanden, war etwa zwei Quadratmeter groß, fensterlos, Flügeltür, eine lange Metallstange an der gegenüberliegenden Wand, an der auf Kleiderbügeln ein paar Mäntel und Blusen hingen. In einer Ecke stand ein Koffer. Er selbst lag vor der Tür, Jodie kniete zu seinen Füßen und wischte sich die blutverschmierte Hand an der Jeans ab.
Die andere Hand war immer noch ausgestreckt und an Hannah gefesselt. Sie hatte sich an die Wand unter der Stange gelehnt, ihr Gesicht war aschfahl, ihre ausgestreckten Beine berührten ihn fast. Die Blonde saß mit dem Rücken zur Wand neben seinem Kopf. Zwischen ihnen stöhnte die gefesselte Louise. Sie war es, die schwer atmete. Ihr Kopf lag in Hannahs Schoß, die Augen waren geschlossen, eine Seite ihrer Bluse war blutdurchtränkt. Matts Herz klopfte heftig, als er das sah.
Jodie rutschte zu Louise und zog ihre freie Hand aus ihrer zerfetzten Bluse. Sie riss den anderen Ärmel ab, knüllte den Stoff zusammen und presste ihn vorsichtig ihrer Freundin auf die Schulter. Matt wollte die Tür überprüfen – oft waren die besten Fluchtmöglichkeiten die offensichtlichsten –, doch er sah immer noch Jodie an. Wie schlank und durchtrainiert sie war. Sie trug einen schwarzen BH . Doch quer über ihren flachen Bauch schlangen sich dicke, unregelmäßige Narben wie ein Gürtel um ihren Leib.
Sie blickte zu ihm auf. »Matt?«
Er räusperte sich. »Ja?«
»Kannst du dich bewegen?«
»Ja.«
»Kommst du nah genug an mich heran, um mich loszubinden?«
Er rappelte sich auf, wartete einen Moment, bis ihm nicht mehr schwindelig war, dann schob er sich so gut es ging voran, ohne dabei den Fuß von der Tür zu nehmen. Jodie streckte ihm die Hand entgegen, zog Hannah dabei mit, und auch Louises Kopf bewegte sich, woraufhin sie aufstöhnte.
»Halte durch, Lou. Das geht ganz schnell«, flüsterte Jodie.
Matt versuchte, nicht an sie zu stoßen, als er sich an der Kordel zu schaffen machte, die mit einem komplizierten Knoten ihre Handgelenke fesselte.
»Tut mir leid, Matt«, flüsterte Jodie, während er den Kopf gesenkt hielt. »Ich hätte dich nicht in die Sache hineinziehen dürfen.«
Er blickte auf, sah Schuldgefühlte und Angst in ihren Augen und senkte wieder den Blick. Er hätte Carraro verständigen sollen, schneller begreifen müssen, was los war. Er hätte einiges unternehmen können. »Du hast eine Chance ergriffen.«
»Ich hätte dich einfach wegschicken sollen.«
Er hätte sie rausholen müssen. »Wenn du schon jemandem die Schuld geben willst, dann gib sie den Arschlöchern, die uns hier eingesperrt haben.«
Von der anderen Seite des Hauses war ein lauter Knall und dann Stimmengewirr zu hören. Die blonde Heulsuse fing zu kreischen an. Die anderen Frauen zuckten zusammen. Matt sah in die Richtung, aus der der Lärm kam, und beeilte sich, die Kordel zu lösen.
Die Narben auf Jodies Bauch waren nun direkt vor seiner Nase. Nur Zentimeter von seinem Gesicht entfernt. Man konnte sie nicht übersehen. Sie waren groß und deutlich, an manchen Stellen wulstig vernarbt und hatten inzwischen die Farbe ihrer Haut angenommen. Ganz offensichtlich waren sie nicht frisch, sondern vermutlich schon Jahre alt. Und sie waren wahllos verstreut, was eindeutig auf extreme Gewalteinwirkung hindeutete. Matt überlegte, was für eine Waffe so einen Schaden anrichten konnte, ohne einen Menschen gleich zu töten. Das konnte nur ein breites Messer mit kurzer Klinge gewesen sein und würde ihr Verhalten auch besser erklären als das Szenario eines brutalen Ehemannes, das er sich ausgemalt hatte. Und es sagte viel über sie aus. Er hatte schon viele mutige Menschen erlebt, die nach so einer Gewalttat in Angst lebten. Es bedurfte viel Mut, um so etwas zu überstehen und trotzdem noch in der Lage zu sein, einen brutalen Schläger in einem Pub abzuwehren oder sich zu trauen, einen Stein durch das Autofenster eines Stalkers zu werfen.
Als
Weitere Kostenlose Bücher