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Die Beute - 2

Die Beute - 2

Titel: Die Beute - 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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zog, schmal und bläulich wie die Spur eines Peitschenhiebes. Wer hatte sie denn so gebrandmarkt? Ihr Mann hatte doch die Hand nicht erhoben. Und ihre Lippen erstaunten sie durch die Blässe, ihre kurzsichtigen Augen kamen ihr wie tot vor. Wie alt sie geworden war! Sie neigte die Stirn, und als sie sich so sah in ihrem Trikot, ihrem leichten Gazejäckchen, vertiefte sie sich mit gesenkten Wimpern und jähem Erröten in den Anblick ihrer selbst. Wer hatte sie denn entkleidet? Was machte sie eigentlich in diesem schamlosen Aufzug einer Dirne, die sich bis zum Bauch entblößt? Sie konnte sich nicht mehr entsinnen. Sie betrachtete ihre Schenkel, die das Trikot umspannte, ihre Hüften, deren geschmeidigen Linien unter dem Schleierstoff sie folgte, ihre kaum verhüllte Brust; und sie schämte sich vor sich selber, und Verachtung ihres eigenen Körpers erfüllte sie mit dumpfer Wut gegen diejenigen, die es duldeten, daß sie mit nichts als Goldreifen um Knöchel und Handgelenke ihre Blöße bedeckte.
    Als sie sich dann mit der Hartnäckigkeit eines Hirns, das sich zu verwirren beginnt, fragte, was sie eigentlich so ganz nackt hier vor dem Spiegel tue, fühlte sie sich mit einem plötzlichen Sprung in ihre Kindheit zurückversetzt, sah sich siebenjährig in dem ernsten Dunkel des Palais Béraud. Sie entsann sich eines Tages, da Tante Elisabeth ihnen beiden, Christine und ihr, graue Wollkleidchen mit kleinen roten Karos angezogen hatte. Es war Weihnachten. Wie hatten ihnen damals diese gleichen Kleider gefallen! Die Tante verwöhnte sie, und einmal schenkte sie sogar jeder ein Armband und eine Halskette aus Korallen. Die Ärmel waren lang, die Taille reichte bis ans Kinn, und der Schmuck prangte auf dem Stoff, was ihnen sehr gefiel. Renée wußte noch, daß der Vater dabei zugegen gewesen war und auf seine traurige Art gelächelt hatte. An jenem Tage waren sie und ihre Schwester, ohne zu spielen, wie Erwachsene im Kinderzimmer auf und ab spaziert, um sich nicht schmutzig zu machen. Später, bei den Visitandinesinnen, hatten die Mitschülerinnen sie wegen ihres »Pierrotkleides« geneckt, das ihr bis an die Fingerspitzen ging und bis über die Ohren reichte. Sie hatte während des Unterrichts zu weinen angefangen. In der Pause hatte sie dann, um nicht mehr ausgelacht zu werden, die Ärmel aufgekrempelt und den Kragen umgeschlagen. Und die Korallenkette und das Armband kamen ihr auf der bloßen Haut von Hals und Armen viel hübscher vor. Hatte sie schon an jenem Tage angefangen nackt zu gehen?
    Ihr ganzes bisheriges Leben zog an ihr vorüber. Sie war als Zuschauer dabei, wie sie nach und nach außer sich geriet in diesem lärmenden Taumel, von Gold und Sinnenlust, der in ihr aufgestiegen war, ihr zuerst bis an die Knie, dann bis an den Leib, schließlich bis an die Lippen reichte und dessen Flut sie nun über ihrem Kopf hinweggehen und mit eiligen Schlägen an ihren Schädel pochen fühlte. Es war wie ein schädlicher Saft; er hatte ihre Glieder erschlafft, hatte in ihrem Herzen Auswüchse schmachvoller Liebe entstehen, in ihrem Geist krankhafte und tierische Launen aufsprießen lassen. An ihren Sohlen hatte sie diesen Saft vom Teppich ihrer Kalesche mitgebracht, von anderen Teppichen noch, von all der Seide, all dem Samt, worüber sie seit ihrer Hochzeit ging. Die Schritte der anderen mußten dort jene Giftkeime zurückgelassen haben, die jetzt in ihrem Blut aufbrachen und von ihren Adern mitgeschwemmt wurden. Sie erinnerte sich deutlich ihrer Kindheit. Als kleines Mädchen war sie nur neugierig gewesen. Selbst später, nach jener Vergewaltigung, die sie der Macht des Bösen ausgeliefert, hatte sie nicht so viel Schande gewollt. Bestimmt wäre sie ein besserer Mensch geworden, wenn sie weiter bei Tante Elisabeth geblieben wäre und sich mit ihrem Strickzeug beschäftigt hätte. Und sie hörte das regelmäßige Klappern der Stricknadeln ihrer Tante, während sie in den Spiegel starrte, um darin von dem friedvollen Leben zu lesen, das ihr entgangen war. Aber sie sah nichts als ihre rosigen Schenkel, ihre rosigen Hüften, nichts als jene merkwürdige rosaseidene Frau, die sie da vor sich hatte und deren Haut aus feinem engmaschigem Stoff für die Liebe von Hampelmännern und Puppen gemacht zu sein schien. So weit war es mit ihr gekommen, sie war nur noch eine große Puppe, deren aufgerissene Brust nichts als ein Rinnsal aus Kleie von sich gibt. Da erwachte in ihr, angesichts der Ungeheuerlichkeiten ihres Lebens, das Blut ihres

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