Die Beute - 2
spürte, welcher falschen Vorstellung sie sich überlassen hatte, als sie glaubte, sie lebe in der Welt glückseligen Genusses und göttlicher Straflosigkeit! Im Reich der Schande hatte sie gelebt, und sie war gestraft mit der Preisgabe ihres Körpers und dem Tod ihres ganzen Wesens, das in den letzten Zügen lag. Sie weinte, weil sie damals nicht auf die eindringlichen Stimmen der Bäume gehört hatte.
Ihre Nacktheit peinigte sie. Sie wandte den Kopf und blickte um sich. Das Ankleidezimmer war noch mit dem schweren Moschusduft, der schwülen Stille erfüllt, in die immer noch die Walzermelodien drangen wie letzte zerrinnende Kreise auf einer Wasserfläche. Das gedämpfte Lachen ferner Wollust traf sie wie unerträglicher Spott. Sie hielt sich die Ohren zu, um nichts mehr zu hören. Nun sah sie die Pracht ihres Raumes. Sie ließ die Augen über das rosafarbene Zelt gleiten hinauf bis zu der silbernen Krone, durch die man den pausbäckigen Amor sah, der seinen Pfeil anlegte; ihr Blick verweilte auf den Möbeln, auf dem Marmor des Toilettentisches, der überladen war mit Gefäßen und Geräten, die sie nicht mehr erkannte; sie ging zu der noch gefüllten Badewanne, deren Wasser reglos lag; mit dem Fuß stieß sie alles beiseite, was auf den weißen Atlassesseln verstreut war, das Kostüm der Nymphe Echo, die Röcke, die liegengebliebenen Handtücher. Und aus all diesen Dingen klangen Stimmen der Schande auf: das Gewand der Nymphe Echo erinnerte sie an das Schauspiel, zu dem sie sich bereitgefunden hatte, weil sie es originell fand, sich Maxime öffentlich anzubieten; die Badewanne strömte den Duft ihres Körpers aus; das Wasser, darin sie gebadet, gab an den Raum ihr Fieber, das Fieber einer kranken Frau, weiter; der Tisch mit seinen Seifen und Ölen, die Möbel mit ihren bettweichen Rundungen sprachen rücksichtslos von ihrer Sinnenlust, ihren Liebesgenüssen, von all dem Schmutz, den sie vergessen wollte. Mit purpurrotem Gesicht kehrte sie in die Mitte des Zimmers zurück, sie wußte nicht, wohin sie flüchten sollte vor diesem Alkovengeruch, vor diesem Luxus, der sich mit dirnenhafter Schamlosigkeit preisgab, all dies Rosa zur Schau stellte. Der Raum war so nackt wie sie selber; die rosa Wanne, die rosiger Haut gleichende Wandbespannung, der rosenfarbene Marmor der beiden Tische bekamen Leben, streckten sich, ballten sich zusammen und umgaben sie mit einer solchen Üppigkeit lebendiger Wollust, daß sie die Augen schloß, die Stirn senkte und zusammenbrach unter all den Spitzen an Decke und Wänden, die sie erdrückten.
Doch auch hinter den geschlossenen Lidern sah sie wieder den fleischfarbenen Flecken des Ankleidezimmers, gewahrte unter anderem auch das weiche Grau des Schlafzimmers, das zarte Gold des kleinen Salons, das grelle Grün des Treibhauses, all diesen mitschuldigen Reichtum. Hier hatten ihre Füße den schädlichen Saft in sich aufgenommen. Niemals hätte sie mit Maxime auf einem elenden Bett in einer Mansarde geschlafen. Das wäre zu unfein gewesen. Die Seide hatte ihrem Verbrechen etwas Reizvolles verliehen. Sie hätte am liebsten diese Spitzen heruntergerissen, diese Seide angespien, ihr großes breites Bett mit Fußtritten zertrümmert, ihren gesamten Luxus in eine Gosse gezerrt, aus der er verdorben und beschmutzt wie sie selbst hervorgehen würde.
Sobald sie die Augen wieder geöffnet hatte, trat sie zum Spiegel, betrachtete sich nochmals, prüfte sich aus der Nähe. Es war vorbei mit ihr. Sie sah sich tot. Ihr ganzes Aussehen sagte ihr, daß die geistige Zerrüttung bald vollkommen sein werde. Maxime, diese letzte Verirrung ihrer Sinne, hatte ihr den Rest gegeben, ihre Kräfte erschöpft, ihren Geist verwirrt. Es blieben ihr keine Freuden mehr zu genießen, keine Hoffnung auf ein Erwachen. Bei diesem Gedanken flammte wilder Zorn in ihr auf. In einem letzten Anfall von Begierde wollte sie ihre Beute wieder an sich reißen, wollte in Maximes Armen sterben und ihn mit sich nehmen. Louise konnte ihn nicht heiraten, Louise wußte genau, daß er ihr nicht gehörte, denn sie hatte gesehen, wie sie einander auf den Mund küßten. Um nicht ganz nackt im Saal zu erscheinen, warf Renée einen Pelzumhang über. Dann ging sie hinunter.
Im kleinen Salon stand sie plötzlich Frau Sidonie gegenüber. Diese hatte sich, um das Schauspiel auszukosten, wieder auf der Treppe zum Treibhaus postiert. Doch als Saccard mit Maxime erschien und ihre leise gestellten Fragen schroff dahin beantwortete, sie habe wohl
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