Die Beute - 2
Geschäftsbücher der Frau Sidonie vernichten wollte, fand er sie nicht mehr. Er lief zu Larsonneau, der ihm rundweg eingestand, daß er sie tatsächlich habe und sie auch behalten werde. Aristide wurde nicht ärgerlich; er tat, als wäre er nur um den guten Freund besorgt gewesen, der ja sehr viel gefährdeter sei als er selbst, weil doch fast alles von dessen Hand geschrieben sei; doch jetzt, da er die Bücher in Larsonneaus Besitz wisse, sei er vollauf beruhigt. In Wirklichkeit hätte er den »guten Freund« am liebsten erwürgt; er dachte au ein äußerst belastendes Schriftstück, ein falsches Inventar, das er törichterweise persönlich aufgestellt hatte und das in einem der Register liegengeblieben sein mußte. Larsonneau, der reich entlohnt worden war, richtete sich in der Rue de Rivoli ein Büro ein, das sich mit zweifelhaften Rechtsgeschäften befaßte und dessen Räume er mit dem Luxus einer Maitressenwohnung ausstattete. Saccard hatte, da er jetzt ansehnliche Geldsummen flüssig machen konnte, seine Stellung im Hôtel de Ville aufgegeben und stürzte sich in wahnwitzige Spekulationen, während Renée, ausgelassen und wie berauscht, Paris mit dem Lärm ihrer Equipagen, dem Funkeln ihrer Diamanten, dem Wirbel ihres köstlichen und geräuschvollen Lebens erfüllte.
Hie und da begaben sich Mann und Frau, diese beiden nach Geld und Genuß fiebernden Menschen, in die frostigen Nebel der Ile SaintLouis. Dann war ihnen, als beträten sie eine Totenstadt.
Das gegen Anfang des XVII. Jahrhunderts erbaute Palais Béraud war eines jener viereckigen, düsteren und ernsten Bauwerke mit schmalen, hohen Fenstern, wie sie im Marais66 noch jetzt sehr zahlreich sind und heute an Pensionate, Mineralwasserfabriken oder Wein und SpirituosenNiederlagen vermietet werden. Nur war das Palais wunderbar erhalten. Nach der Rue SaintLouisenl’Ile hinaus besaß es drei Stockwerke von fünfzehn bis zwanzig Fuß Höhe. Das etwas niedrigere Erdgeschoß hatte mit starken Eisenstangen vergitterte Fenster, die traurig im Dunkel des dicken Mauerwerks versanken. Das oben abgerundete Tor, fast ebenso breit wie hoch und mit einem gußeisernen Türklopfer, war dunkelgrün gestrichen und mit riesigen Nägeln beschlagen, die Stern und Rautenmuster auf beide Türflügel zeichneten. Dieses Tor, flankiert von halb zurückgelehnten und mit breiten Eisenbändern umgebenen Prellsteinen, war typisch. Noch jetzt ließ sich erkennen, daß man ehemals in dem von beiden Seiten her leicht abfallenden Pflaster des Torwegs eine unter der Türmitte ins Freie führende Rinne für die Abwässer ausgespart hatte; aber Herr Béraud hatte dieser Gosse den Abfluß genommen, indem er den Torweg asphaltieren ließ. Das war übrigens sein einziges Zugeständnis an die modernen Baumeister geblieben, denen er sich niemals fügte. Die Fenster der Stockwerke waren mit feinen schmiedeeisernen Gittern versehen, dahinter sah man die riesigen Fensterkreuze aus starkem braunem Holz und die kleinen grünlichen Scheiben. Oben vor den Mansardenfenstern sprang das Dach zurück, nur die Dachrinne zog sich dort weiter entlang, um das Regenwasser in die Abflußröhren zu leiten. Und was die schmucklose Nacktheit der Fassade noch betonte, war, daß es weder einen Fensterladen, noch eine Jalousie gab, da die Sonne zu keiner Jahreszeit das fahle, traurige Mauerwerk beschien. Diese ehrwürdige, bürgerlich strenge Fassade schlief ihren feierlichen Schlaf in der Stille dieses Stadtviertels und der Lautlosigkeit dieser Straße, die nur selten durch das Rollen eines Wagens gestört wurde.
Das Haus hatte einen quadratischen, von Arkaden umgebenen Innenhof, einen Place Royale in kleinerem Ausmaß, der mit riesigen Steinplatten gepflastert war, was die Klosterähnlichkeit dieses leblosen Hauses vollkommen machte. Dem Torweg gegenüber ergoß ein Brunnen, ein verwitterter Löwenkopf, von dem nur noch der halbgeöffnete Rachen erkennbar war, aus einem eisernen Rohr sein träges, eintönig plätscherndes Wasser in einen von Moos grünen, durch langen Gebrauch am Rande blankgeriebenen Trog. Dieses Wasser war eiskalt. Zwischen den Steinplatten wuchs Gras. Im Sommer fiel ein schmaler Sonnenstrahl in den Hof, und dieser seltene Gast hatte eine Ecke der Südwand gebleicht, während die drei übrigen Innenwände unfreundlich und schwärzlich und von großen Schimmelflecken durchzogen waren. Hier in diesem Hof, der kühl und still war wie ein Brunnenschacht und von winterlich bleichem Licht erhellt,
Weitere Kostenlose Bücher