Die Beute - 2
geschoren, das Haar so kurz geschnitten, daß kaum ein leichter Flaum die weiße Kopfhaut bedeckte; dabei trug er zu kurze Hosen, Schuhe wie ein Fuhrknecht, eine entsetzlich schäbige, viel zu weite Jacke, in der er beinahe bucklig wirkte. In diesem Aufzug hielt er Umschau, überrascht von all dem Neuen um sich her, übrigens ohne jede Schüchternheit, mit der verschlossenen, hinterhältigen Miene eines frühreifen Kindes, das sich nicht auf Anhieb ergibt.
Ein Diener hatte ihn soeben von der Bahn abgeholt, und nun stand er in dem großen Salon, überwältigt von dem vielen Gold an den Möbeln und der Zimmerdecke und überglücklich, daß er jetzt inmitten dieser Pracht leben sollte, als Renée, die gerade von ihrem Schneider kam, wie ein Wirbelwind hereinstürmte. Sie schleuderte ihren Hut beiseite und auch den weißen Kapuzenmantel, den sie übergeworfen hatte, um sich gegen die schon empfindliche Kälte zu schützen. So erschien sie plötzlich im vollen Glanz ihrer herrlichen Toilette vor dem in Bewunderung erstarrten Maxime.
Der Junge glaubte, sie habe sich verkleidet. Sie trug einen entzückenden Rock aus blauer Faille73 mit großen Volants, darüber eine Art Frack aus zartgrauer Seide, im Stil der Überröcke der Gardefrançaise74. Die Schöße dieses Fracks, mit Atlas von einem etwas dunkleren Blau als dem des Rocks gefüttert, waren zierlich mit Bandschleifen zurückgehalten, die Aufschläge der glatten Ärmel, die großen, sehr breiten Revers mit dem gleichen Atlas ausgeputzt. Und gewissermaßen als letzte Würze, als ein gewagter Stich ins Originelle, war der Frack bis unten hin mit zwei Reihen riesiger Knöpfe besetzt, die wie Saphire aussahen und in hellblaue Rosetten gefaßt waren. Es war unschön und reizvoll zugleich.
Als Renée Maxime bemerkte, fragte sie den Diener: »Das ist wohl der Kleine?« Es überraschte sie, daß er ebensogroß war wie sie selber.
Der Junge verschlang sie förmlich mit den Augen. Diese so weißhäutige junge Frau, deren Brust aus einer halboffenen plissierten Bluse hervorschimmerte, diese unvermutete, bezaubernde Erscheinung mit dem hochaufgesteckten Haar, den schmalen, behandschuhten Händen, den winzigen Herrenstiefeletten, deren spitze Absätze sich in den Teppich bohrten, entzückte ihn und kam ihm wie die gute Fee dieses warmen, goldstrahlenden Raumes vor. Er begann zu lächeln, und er war gerade noch unbeholfen genug, um dabei seine bubenhafte Anmut zu behalten.
»Ach, ist der drollig!« rief Renée. »Aber wie schrecklich man ihm die Haare geschnitten hat! – Hör mal, mein kleiner Freund, dein Vater wird sicher nicht vor dem Essen nach Hause kommen; da werde ich dich wohl unterbringen müssen … Ich bin nämlich Ihre Stiefmutter, mein Herr! Magst du mir einen Kuß geben?«
»Gern«, erwiderte Maxime offen heraus.
Und er küßte die junge Frau auf beide Wangen und faßte sie dabei an die Schultern, so daß der Garde Frack ein wenig zerknittert wurde.
Lachend machte sie sich los und sagte: »Mein Gott, wie ist er drollig, der kleine Kahlkopf!«
Dann wandte sie sich, nun ernster, ihm wieder zu: »Nicht wahr, wir wollen gute Freunde werden? Ich will dir eine gute Mutter sein. Darüber habe ich gerade nachgedacht, als ich bei meinem Schneider, der bei einer Besprechung war, warten mußte, und ich sagte mir, daß ich recht gut zu dir sein und dich tadellos erziehen müßte … Das wird reizend!«
Maxime betrachtete sie noch immer mit seinen blauen, kecken Mädchenaugen, und plötzlich fragte er: »Wie alt sind Sie?«
»Aber so etwas fragt man doch nicht!« rief sie und schlug die Hände zusammen. »Doch das weiß er nicht, der kleine Unglückshase! Man wird ihm alles erst beibringen müssen … Glücklicherweise kann ich mein Alter noch eingestehen. Ich bin einundzwanzig.«
»Und ich werde bald vierzehn … Sie könnten meine Schwester sein.«
Er sagte nichts weiter, sein Blick aber fügte hinzu, daß er sich die zweite Frau seines Vaters sehr viel älter vorgestellt hatte. Er stand jetzt ganz dicht vor ihr und sah ihr mit solcher Aufmerksamkeit auf den Hals, daß sie fast errötet wäre. Ihr wirbeliger Kopf war jedoch schon mit anderem beschäftigt, sie konnte nie lange bei einer Sache verweilen; und sie begann hin und her zu gehen, sprach von ihrem Schneider und vergaß dabei, daß sie ein Kind vor sich hatte.
»Ich wäre ja gern bei deiner Ankunft hiergewesen. Aber stell dir vor, Worms schickt mir heute morgen dieses Kostüm … Ich probiere es an und finde
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