Die Beute - 2
es recht gut gelungen. Es ist doch sehr schick, meinst du nicht auch?«
Sie hatte sich vor einen Spiegel gestellt. Maxime ging hinten um sie herum, um sie von allen Seiten zu betrachten.
»Nur habe ich entdeckt«, fuhr sie fort und wies auf den Frack, »daß er eine große Falte wirft, da, auf der linken Schulter, siehst du? Sie ist abscheulich, diese Falte; es sieht ja aus, als wäre die eine Schulter höher als die andere.«
Er war näher herangetreten und strich mit dem Finger über die Falte, wie um sie zu glätten, und seine nichtsnutzige Schülerhand schien mit einem gewissen Wohlbehagen auf dieser Stelle zu verweilen.
»Weiß Gott«, redete Renée weiter, »da war ich nicht zu halten. Ich ließ anspannen und fuhr zu Worms, um ihm über diese unbegreifliche Nachlässigkeit meine Meinung zu sagen … Er hat mir versprochen, die Sache in Ordnung zu bringen.«
Dann blieb sie vor dem Spiegel stehen, musterte sich immer wieder und geriet plötzlich ins Träumen. Schließlich legte sie mit der Miene ungeduldigen Überlegens einen Finger an die Lippen. Und ganz leise, als spräche sie mit sich selbst, sagte sie: »Irgend etwas fehlt … ganz gewiß, irgend etwas fehlt noch …«
Nun drehte sie sich mit einer raschen Bewegung um, pflanzte sich vor Maxime auf und fragte ihn: »Ist es wirklich gut so? Findest du nicht, daß irgend etwas fehlt, eine ganze Kleinigkeit, eine Schleife irgendwo?«
Der Gymnasiast, dem der kameradschaftliche Ton der jungen Frau Mut machte, hatte die ganze Sicherheit seiner dreisten Natur zurückgewonnen. Er trat einige Schritte zurück, dann wieder vor, kniff die Augen zu und murmelte: »Nein, nein, es fehlt nichts, es ist sehr hübsch, sehr hübsch … Eher finde ich, daß hier etwas zuviel ist.«
Trotz seiner Unverfrorenheit wurde er ein wenig rot, trat noch näher und zeichnete mit dem Finger einen spitzen Winkel auf Renées Busen.
»Sehen Sie«, fuhr er fort, »ich würde diese Spitze noch so weit ausschneiden und ein Halsband mit einem großen Kreuz umlegen.«
Entzückt klatschte Renée in die Hände.
»Richtig, richtig!« rief sie aus, »das mit dem großen Kreuz lag mir schon auf der Zunge.«
Sie schob die Bluse etwas mehr auseinander, verschwand für zwei Minuten und kam mit Halsband und Kreuz zurück. Mit triumphierender Miene stellte sie sich wieder vor den Spiegel und flüsterte: »Oh, jetzt ist es vollkommen, ganz vollkommen! Aber er ist ja ganz und gar nicht dumm, der kleine Kahlkopf! Du hast wohl bei dir in der Provinz die Frauen angezogen? Wir werden bestimmt gute Freunde. Aber Sie müssen auf mich hören. Zunächst werden Sie sich die Haare wachsen lassen und nicht mehr diesen abscheulichen Anzug tragen. Sodann werden Sie getreulich meine Lehren über gutes Benehmen befolgen. Ich möchte einen netten jungen Mann aus Ihnen machen.«
»Aber gewiß doch«, sagte der Junge naiv, »wo doch Papa jetzt reich ist und Sie seine Frau sind.«
Sie lächelte und entgegnete mit ihrer gewohnten Lebhaftigkeit: »Beginnen wir also damit, daß wir uns duzen. Bald sage ich du, bald Sie … Das ist ja dumm … Wirst du mich liebhaben?«
»Ich werde dich von ganzem Herzen liebhaben«, antwortete Maxime mit dem Überschwang eines Schelms, dem das Glück lächelt.
So verlief die erste Begegnung zwischen Maxime und Renée. Der Junge ging erst einen Monat später wieder zur Schule. In den ersten Tagen spielte seine Stiefmutter mit ihm wie mit einer Puppe; sie schliff die Provinz von ihm ab, und man muß zugeben, daß er sich hierbei äußerst willig zeigte. Als ihn seines Vaters Schneider von Kopf bis Fuß neu angezogen hatte, stieß Renée einen Schrei freudiger Überraschung aus: Er sei schmuck wie ein Prinz, wie er sich ausdrückte. Nur wuchsen seine Haare zum Verzweifeln langsam. Die junge Frau behauptete, das Haar mache das ganze Gesicht; Ihr eigenes pflegte sie mit wahrer Hingabe. Lange war sie untröstlich wegen seiner Farbe gewesen, diesem eigentümlichen zarten Gelb, das an feine Butter erinnerte. Als aber Blond modern wurde, war sie glücklich, und um den Anschein zu erwecken, daß sie sich nicht einfach nach der Mode richte, schwor sie, sie lasse es sich allmonatlich färben.
Maxime war mit seinen dreizehn Jahren bereits unheimlich wissend. Er war eine jener schwachen, frühreifen Naturen, in denen sich die Sinne vorzeitig entwickeln. Das Laster trat bei ihm schon vor dem Erwachen der Begierden auf. Zweimal wäre er beinahe von der Schule gejagt worden. Wären Renées Augen
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