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Die Beutefrau

Die Beutefrau

Titel: Die Beutefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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Tier.
    »Wer soll den Stoß führen? Sag du es, Gerswind!«
    Gerswind sah von dem einen erwartungsvoll blickenden Königssohn zum anderen und dann auf das mächtige Tier im Netz. Die Eisenspitzen dieser Lanzen hatten sich auch in das Fleisch ihres Volkes gebohrt, ging es ihr durch den Kopf. Leise sagte sie: »Ich habe noch nie einen so großen Bären gesehen. Wäre er nicht eine Bereicherung für den königlichen Tiergarten?«
    »Das Mädchen hat recht!« rief der König. »Laßt das Tier in den Zwinger bringen! Mir ist ohnehin mehr nach Wildschweinfleisch zumute.«
    Karl der Jüngere legte die Lanze beiseite, trat auf Gerswind zu und erkundigte sich verwundert nach ihrem Pferd. Als sie beschämt gestand, daß es ihr davongaloppiert sei, zeigte er sich erleichtert, daß sie sich nicht bei einem Sturz verletzt hatte, und sandte Männer aus, um das flüchtige Tier wieder anzufangen.
    Die Jagdgesellschaft, deren Teilnehmerzahl sich durch den Abtransport des Bären und die Suche nach dem Pferd deutlich verringert hatte, machte bald ein Rudel Wildschweine ausfindig. Gerswind, die sich vor Hruodhaid aufs Pferd gesetzt hatte, freute sich, daß die Jagd viel schneller beendet war, als sie erwartet hatte. Pfeile trafen drei der Tiere so zielgenau, daß das Wild auf der Stelle verendete. König Karl tat sich wenig später hervor. Unter dem begeistertem Jauchzen Liutgards erlegte er mit der Lanze einen jungen Hirsch, den sein Sohn Ludwig zuvor verfehlt hatte.
    Als später das Kochfeuer entzündet wurde und Liutgard Gerswind nach dem Eindruck ihrer ersten Jagd befragte, gab das Mädchen zu, daß sie sich die Hatz schlimmer vorgestellt hatte.
    »Ha, dann solltest du mal mitkommen, wenn wir auf einen Auerochsen treffen!« rief Karl vergnügt und setzte zu einem Bericht über die letzte Jagd an, bei der er selbst nur knapp dem Tod entronnen war, als ihn eine solch wilde Rinderbestie fast auf die Hörner genommen hätte. Während sich Liutgard mit glänzenden Augen den Jagdbericht anhörte, reichte Gerswind dem jüngeren Karl einen Becher Wein, wie er es gewünscht hatte. Sie setzte sich neben ihn und verdrängte erfolgreich jeden Gedanken daran, daß sie sich in Gegenwart der Menschen befand, die nicht nur Auerochsen jagten, sondern auch ihr eigenes Volk, weil sie diesem nicht gestatteten, nach eigenem Gutdünken in Frieden zu leben.
    Sie sah zum König, der den Arm um seine Gemahlin gelegt hatte und diese mit solchem Entzücken betrachtete, daß Gerswind den Gerüchten keinen Glauben schenken konnte, er verteile seine Gunst bereits wieder über Madelgard und andere junge Frauen. Wer würde sich mit übel riechendem Bier betrinken, wenn doch duftender Wein kredenzt wurde? Die feinsinnige Alemannin Liutgard war mit ihrem prächtigen Schmuck, dem Stirnband aus Purpur, dem feinen Blondhaar und dem strahlenden Lachen wahrlich eine Augenweide.
    Die Nacht legte sich langsam über den Wald, und Gerswind beobachtete, wie sich immer wieder für kurze Zeit Pärchen von der Gruppe entfernten. Keinesfalls zusammen; zunächst erhob sich Berta und verschwand im Walddunkel, als wollte sie sich dort erleichtern. Ein wenig später schlenderte Angilbert davon. Auch andere Paare brachen getrennt auf und erschienen dann nach einiger Zeit versonnen lächelnd gemeinsam am Feuer.
    Karl der Jüngere war etwas näher an Gerswind herangerückt, fast schon spürte sie seine Schulter an ihrer, seine Knie an ihren. Er riß kleine Fetzen von dem Braten ab, den er in der Hand hielt, und reichte sie ihr. Manchmal berührte er dabei ihre Finger, was bei Gerswind ein wohliges Schaudern hervorrief und sie vor lauter Aufregung dem Wein kräftig zusprechen ließ. Schließlich mußte auch sie sich erleichtern. Sie überlegte, wo sie dies tun könnte, ohne über ein Liebespaar zu stolpern. Als Rorico und Rotrud von ihrem kleinen Ausflug ans Feuer zurückkehrten, beschloß sie, die Richtung einzuschlagen, aus der die beiden gekommen waren. Dabei kam ihr der Gedanke, nach Verrichtung der Notdurft noch einen Augenblick abzuwarten. Sie rechnete zwar nicht damit, hielt es aber doch nicht für ausgeschlossen, daß ihr Carolino, wie sie ihn für sich immer noch nannte, folgen könnte. Es ging ihr weniger darum, an diesem Ort die seine zu werden, sondern sie sehnte sich einfach danach, eine Weile mit ihm allein zu sein. Sie hoffte, daß es ihm ähnlich erging.
    Deshalb erschrak sie auch nicht, als sie wenig später Knacken im Gebüsch vernahm und ihr ein Mann entgegenkam. Sie

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