Die bezaubernde Arabella
Nachdem er die Betroffenheit überwunden hatte, sagte er entschlossen: »Jetzt ist alles klar! Ich komme heute auch noch nicht hinunter. Ich wette zehn zu eins: wenn er mich sieht, fängt er auch wieder an, sich selbst zu tadeln, und dann brenne ich womöglich durch und geh zur Armee, denn so was hält doch kein Mensch aus.«
»Mir hat es die ganze Freude verdorben.«
Da Papas geduldige Stimmung anzuhalten schien, geriet Arabella in einen wahren Abgrund des Schuldgefühls und wurde nur durch das rechtzeitige Dazwischentreten Mamas davor bewahrt, dem Londoner Projekt zu entsagen: Mama aber gab ihren Gedanken eine andere Richtung, indem sie Arabella eines Morgens in ihr Schlafzimmer rief und lächelnd sagte: »Ich muß dir da etwas zeigen, Liebling, was dir gefallen wird.«
Auf Mamas Ankleidetisch stand eine geöffnete Schatulle. Arabella blinzelte, als sie Diamanten blitzen sah, und brachte nur ein langgezogenes Oh hervor.
»Das hat mein Vater mir geschenkt«, sagte Mrs. Tallant mit einem leisen Seufzer. »Natürlich habe ich es in den späteren Jahren nie getragen, denn es ergab sich keine Gelegenheit dazu, und solcher Schmuck schickt sich wohl auch nicht für eine Pastorsfrau. Jetzt aber habe ich den Schmuck reinigen lassen und will ihn dir für deine Londoner Reise leihen. Ich habe auch Papa gefragt, ob ich dir nicht Großmama Tallants Perlenhalsband leihen dürfte, und er meint, es spräche nichts dagegen. Für blitzende Steine hat dein Papa nichts übrig, das weißt du, aber Perlen findet er bescheiden, und sie stehen seiner Ansicht nach einer Frau gut. Nun, wenn Lady Bridlington dich zu irgendeinem großen Empfang mitnimmt, und das wird sie bestimmt tun, dann sind die Diamanten gewiß das Richtige. Der Halbmond hier gehört ins Haar gesteckt, und diese Brosche und das Armband bilden damit eine Garnitur. Sie ist nicht protzig oder vulgär, Papa würde das nicht wollen, aber die Steine sind von reinstem Wasser.«
Danach war es wohl kaum mehr möglich, Trübsal zu blasen oder das Londoner Projekt aufgeben zu wollen. Nun waren auch noch Hüte zu garnieren, Taschentücher zu säumen, Pantoffel für den Squire zu sticken, aus Harrowgate kamen die Kleider, Papa mußte eine neue Geldbörse gehäkelt bekommen, kurz, all das, zusammen mit den Verpflichtungen des Tages, erlaubte es Arabella einfach nicht, sich trübseligen Gedanken zu überlassen. Alles ging nach Wunsch: die abgedankte Gouvernante der Caterhams erklärte sich bereit, Arabella in ihre Obhut zu nehmen; der Squire hatte die Sache überlegt und war daraufgekommen, daß die Reisenden mit einem geringfügigen Umweg Tante Emma in Arksey besuchen, dort ein oder zwei Tage bleiben und den Pferden Ruhe gönnen konnten; Bertrams Schlüsselbein heilte gut zusammen; sogar Betsy überwand ihre Halsentzündung. Erst als der Wagen des Squire vor dem Pfarrhaus hielt, um die Reisenden aufzunehmen, samt all den Koffern, die auf dem Verdeck verschnürt wurden, und Mamas Kleiderkiste, die vorsichtig in den Wagen gehoben wurde – erst da erlag Arabella einem neuen Kummer. Ob es nun Mamas Umarmung, Papas Segen oder Baby Jacks Patschhändchen, die ihr nachwinkten, waren, ließ sich schwer entscheiden, jedenfalls überwältigten die Gefühle Arabella, und es war eine in Tränen aufgelöste junge Lady, die Bertram schließlich fast mit Gewalt in den Wagen hob. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich wieder gefaßt hatte, und ihre Reisegefährtin war dabei kaum von nennenswertem Nutzen; herzliche Teilnahme und vielleicht auch die verständliche Trübsal eines Frauenzimmers, das sich erst wieder ein Plätzchen auf der Welt suchen mußte, veranlaßten die Gute, in ihrem Winkel ebenso bitterlich zu weinen wie Arabella.
Solange jeder Blick aus dem Fenster vertraute Ansichten bot, flossen Arabellas Tränen unstillbar; als der Wagen aber dann in unbekannte Gegenden gelangte, versiegten sie, und nachdem das Mädchen einmal behutsam an dem Riechfläschchen geschnuppert hatte, das Miss Blackburn ihr mit zitternder Hand darbot, konnte sie sich die Wangen trocknen und aus der Üppigkeit des Sealskinmuffs, der auf ihrem Schöße lag, sogar ein gewisses Behagen ziehen. Dieser Muff war zusammen mit dem Pelzkragen, den Arabella um den Hals trug, als Gruß von Tante Eliza gekommen – derselben, die Mama einmal die rosa Unterwäsche aus indischem Musselin geschenkt hatte. Selbst wenn man das elterliche Heim noch nie verlassen hatte, konnte man sich nicht ganz dem Jammer überlassen, solange
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