Die Bibel für Eilige
innere Logik suchten. Dementsprechend gab es Lehrentscheidungen, die zu Verwerfungen
und Verketzerungen führten. Orthodoxie produziert Häresie. Einzig die Juden bewahrten sich das interpretatorische Palaver
– 72 Auslegungen
eines
Textes sind möglich. Keine ist
die
Wahrheit. Sie bleibt im Fluss, im Gespräch, ein Versuch. Und sie »beginnt immer zu zweit«, also im Dialog, wie Martin Buber
betont.
Das Gleichnis wurde auf den Punkt, den Vergleichspunkt, gebracht – und die ganze Lebenswirklichkeit war heraus! Andererseits
war dies konzeptionell gegen jegliche allegorische Wucherung gedacht, wo alles für alles stehen konnte und jeglicher – auch
synkretistischer – Spekulation Tor und Tür geöffnet wurde. Also schließe ich: Logos
und
Mythos, nicht Logos statt Mythos, noch Mythos statt Logos bleibe die Devise! Es ist nicht alles gleich, nicht alles gleich
wahr. |65| Es gibt Irrtum und Lüge. Es gibt Teilhabe an Wahrheit, aber nicht
die
Wahrheit für uns Menschen.
Abschließend sei auf einige Besonderheiten des so genannten »Jahwisten« im Buch Genesis eingegangen.
Die uns heute vorliegende Fassung der Ur- und Vätergeschichten stammt von einem Redaktor, der mindestens drei große Überlieferungsquellen
zusammengestellt hat. Die jüngste ist die so genannte
priesterschriftliche
, die älteste die so genannte
jahwistische
. Die priesterschriftliche ist mehr am Kultischen interessiert und
zählt auf
, während der Jahwist
erzählt
. Der Jahwist ist der große Psychologe, besser: Anthropologe und tiefgründiger Erzähler. Hineingewoben in seine Erzählung
ist die so genannte
elohistische
Quelle, die daran erkennbar ist, dass sie für den Gottesnamen Elohim benutzt.
Der so genannte
Jahwist
(etwa 1000 vor unserer Zeitrechnung) ist der Sammler einer bis dahin frei im Volke umlaufenden Überlieferung. Er fügt alles
zu einer großen Gesamtkonzeption zusammen, mitten in einer tiefen Selbstverständniskrise Israels, nachdem der altisraelische
Zwölfstämmebund zerfallen war und Israel ein Königtum wie alle anderen Völker errichtete, damit in einen tiefen theologischen
Konflikt kam, weil bis dahin als unumstößlich galt, dass Gott allein der König ist. Das Grundcredo des Jahwisten ist: Gott,
der die Welt geschaffen hat, hat die Väter berufen, das Land Kanaan verheißen und aus der Knechtschaft in Ägypten durch die
Wüste geführt.
Der Jahwist hat eine unübersehbare Masse von erzählerischen Einheiten zusammengetragen und an eine alles tragende und alles
verbindende Grundüberlieferung geschmiedet. Charakteristisch sind Einbauten und Zutaten, die zur Dehnung des alten Schemas
und der theologischen Verbreiterung der ursprünglichen Basis führen. Dies geschieht |66| durch den
Ein bau
der Sinai-Überlieferung, den
Aus bau
der Väter-Überlieferung und den
Vor bau
der Ur-Geschichte, sodass jetzt alles wie aus einem Guss erscheint. Man kann methodisch analysieren, wie er Geschichten hineingewoben
hat, wenn man z. B. Genesis 4,1–2 liest und sodann mit Genesis 4,17 fortsetzt. Dann würde der Textanschluss ganz nahtlos so
lauten:
»Und Adam erkannte sein Weib Eva, und sie ward schwanger und gebar den Kain und sprach: Ich habe einen Mann gewonnen mit Hilfe
des Herrn. Und sie fuhr fort und gebar Abel, seinen Bruder. Und Abel ward ein Schäfer; Kain aber ward ein Ackermann. … Und
Kain erkannte sein Weib; die ward schwanger und gebar den Henoch.«
Zwischen diese Genealogie – also die Geschlechterfolge – fügt er die Brudermord-Geschichte ein.
In vergleichbarer Weise lässt sich der doppelte Erzählfaden immer wieder herausfinden. Die Priesterschrift ist an der
Auf
zählung interessiert, deshalb auch an der Geschlechterabfolge, dem Stammbaum, der lückenlosen Genealogie. Der Jahwist sucht
nach der Vertiefung. Er will – wie gesagt – nicht aufzählen, er will erzählen. Er zeichnet sich durch eine wunderbare Klarheit
und letzte Einfachheit, durch Sparsamkeit seiner Mittel aus. Menschenleben wird in all seiner Abgründigkeit und seinem Höhenflug
in den Blick des Erzählers genommen. Rätsel und Konflikte, äußere Taten und auch die Irrungen und Wirrungen des Herzens kommen
zur Sprache. Immer wieder spürt er dem Namen Gottes nach, dem unaussprechbaren »JHWH«. Er fügt unterschiedliche Überlieferungen
in der Geschichte vom Dornbusch zusammen: Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs – das ist derselbe! Und ER hat den Namen »Ich-bin-da«.
(Exodus 3)
Der
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