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Die Bibel für Eilige

Titel: Die Bibel für Eilige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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Jahwist wagt die kühnsten Anthropomorphismen:
    Gott ergeht sich in der Abendkühle des Gartens.
    ER schließt die Arche selbst ab.
    |67| ER fährt hernieder, um den babylonischen Turm zu inspizieren.
    Das ist keineswegs unbedarft-naiv – es ist der Ausdruck des konkreten Gegenübers für den Menschen. Das Geheimnis der Welt
     ist zugleich ganz nahe. Der Mensch steht in permanenter Relation zu Gott, mit Wort und Antwort, Frage und Gegenfrage. Er zielt
     auf sehr konkrete Verantwortung des Menschen, dieser Lieblingsidee Gottes.
    Ich versuche dies zu verdeutlichen an Genesis 4,1–2.
    Ewwa, die Frau, wird schwanger. Die Mutter gebiert. Ihr kommt die Namensgebung zu. Die Benennung ist Herrschaftsakt, nicht
     nur für die Dinge und die Tiere, wie Adam dies nach der Schöpfung tat. Aus ihr kommt ein Jubelruf: Seht, einen Mann habe ich
     erschaffen, ein Kind, das erkennbar ein Mann wird. Das Geburtswunder als ein Schöpfungswunder! Was Gott getan hat, kann ich
     auch! Mit Gott habe ich dieses Kind zur Welt gebracht. (Da steht Adam draußen und fasst sich ratlos an die Rippe.) Sie ist
     die Mutter allen Lebens. Sie ist die, die das Schöpfungswunder sichtbar neu vollbringt!
    Wer denkt da nicht daran – als Mann –, wie kränkend es ist, daneben stehen zu müssen. Schwängern – und dann zusehen müssen.
     Im Mann wächst nichts. Er kann sein Ohr an den Bauch halten, und er kann ihn streicheln, aber er bringt kein Leben hervor.
     Er kann nur den Samen legen, und dann muss er zusehen. Und dann kann er zusehen. Die Frau bringt neues Leben hervor. Das Neugeborene
     braucht
ihre
Nähe. Der Stolz der Mutter – nun auch noch ein Mutter-Sohn, ein Mutter-Söhnchen –, dieses Motiv kommt immer wieder: bei Rebekka,
     die Jakob den Segen verschafft, bei Maria, die den Joseph nicht braucht, aber gebraucht. Und als sie schwanger ist, ein Freuden-
     und Befreiungslied anstimmt: Gott hat mit ihr ein Kind hervorgebracht. Eva jubelt bei der Geburt, Mirjam beim Sieg, Maria
     bei der |68| Nachricht, dass in ihrem Leib der Befreier heranwächst. Magnifikat! –
    Oder: Wie wenige Worte braucht die Abel-Kain-Geschichte, um alles zu erzählen.
    »Und der Herr sah gnädig an Abel und sein Opfer; aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an. Da ergrimmte Kain sehr,
     und senkte finster seinen Blick. Da sprach der Herr zu Kain: Warum ergrimmst du? Und warum senkst du deinen Blick? Ist’s nicht
     also, wenn du rechtschaffen bist, so kannst du frei den Blick erheben. Bist du aber nicht rechtschaffen, so lauert die Sünde
     vor der Tür, und nach dir hat sie Verlangen; du aber herrsche über sie.« (Genesis 4,4b–7)
    Da ist einer nicht mehr Herr im eigenen Hause. Die Verfinsterung beginnt mit dem Herabsehen, mit der Selbstverdunkelung. Nur
     noch
ein
Gedanke beherrscht ihn: der Neid auf seinen Bruder. Er ist besetzt, besessen. Er will ihn wegräumen, nichts anderes mehr.
     Und als er ihn getötet hat, wird ihm die Frage gestellt: Wo ist dein Bruder? Und darauf die dreiste, kalte Gegenfrage statt
     einer Antwort: Soll ich meines Bruders Hüter sein?
    Jeder lebt und jeder stirbt für sich allein. Kain weist jede Verantwortung ab. Was geht es mich an, wie es ihm geht. Das ist
     die ganze Tragik des menschlichen Zusammenlebens. In einer Zeile!
    Und dann kommt die Gewissensqual: Der innere Gerichtshof tagt. Tag und Nacht. Freispruch unmöglich. Freiwild für jeden. Schlaflos,
     ratlos, rastlos, atemlos, aussichtslos nun sein Leben, gewissensumgetrieben muss er nun »unstet und flüchtig« leben. Jeder,
     der ihn nun sieht, sieht in ihm nur noch den Mörder. Der Täter wird mit seiner Tat identifiziert. Die »Unschuldigen« haben
     nun einen, auf den sie alles projizieren. Da setzt im Text nicht die (verständliche!) Rache ein, sondern der Mörder wird geschützt.
     Er soll weiterleben können. Er bekommt ein Kains-Zeichen – das Zeichen, |69| das ihn schützen soll vor der Rache. Aber er wird verbannt. Er geht hinweg von dem Angesicht des Herrn und baut Städte …
     
    Hilde Domin, die der Verbrennung 1932 entrann und die 1956 nach Deutschland zurückkehrte, schrieb das Gedicht »Abel steh auf«.
    Abel steh auf
    es muss neu gespielt werden
    täglich muss es neu gespielt werden
    täglich muss die Antwort noch vor uns sein
    die Antwort muss ja sein können
    wenn du nicht aufstehst Abel
    wie soll die Antwort
    diese einzig wichtige Antwort
    sich je verändern
    wir können alle Kirchen schließen
    und alle Gesetzbücher abschaffen
    in allen Sprachen

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