Die Bibel nach Biff
»Konfuzius sagt, der Überlegene handelt nicht einmal um einer einzigen Mahlzeit willen entgegen seine Tugenden.«
»Natürlich«, sagte ich, »aber der Überlegene kriegt die Frauen rum, ohne lügen zu müssen. Ich spreche von uns anderen.«
»Sollte ich mir also Sorgen um diesen Ausflug machen, den er mit mir unternehmen will?«
Wonne nickte ernst, und auch die anderen Mädchen nickten, »Ich wüsste nicht, wieso«, sagte ich. »Welcher Ausflug?«
»Er sagt, wir sind nur ein paar Wochen unterwegs. Er will zu einem Tempel in einer Stadt oben in den Bergen. Er glaubt, Salomo hätte diesen Tempel errichtet, und er heißt Tempel des Siegels.«
»Und wieso musst du mitkommen?«
»Er will mir was zeigen.«
»Oh-oh«, sagte ich.
»Oh-oh«, wiederholten die Mädchen, einem griechischen Chor nicht unähnlich, nur dass sie natürlich Chinesisch sprachen.
In der Woche vor Josuas und Balthasars Abreise konnte ich Erbsenschote dazu überreden, während ihrer Schicht in Balthasars Bett ein ungeheures Risiko auf sich zu nehmen. Ich hatte Erbsenschote weder ausgesucht, weil sie das Athletischste und Gelenkigste der Mädchen war - was zutraf - noch weil sie besonders leichtfüßig und ungemein verstohlen war - was ebenfalls zutraf -, sondern weil sie mich gelehrt hatte, bronzene Abdrücke von chinesischen Buchstaben anzufertigen, die das Zeichen meines Namens darstellten. Ich konnte darauf bauen, dass sie den makellosesten Abdruck jenes Schlüssels zustande brachte, den Balthasar an einer Kette um seinen Hals trug. (O ja, es gab einen Schlüssel zu der eisenbeschlagenen Tür. Wonne war herausgerutscht, wo Balthasar ihn aufbewahrte, aber ich war mir sicher, dass sie ihm gegenüber zu loyal wäre, um den Schlüssel zu stehlen. Erbsenschote dagegen war hinsichtlich ihrer Loyalität etwas wankelmütiger, und in letzter Zeit hatte ich hin und wieder einige Zeit mit ihr verbracht.)
»Bis du wieder da bist, weiß ich, was hier vor sich geht«, raunte ich Josua zu, als er auf sein Kamel stieg. »Finde raus, was du von Balthasar erfahren kannst.«
»Mach ich. Aber sei vorsichtig. Unternimm nichts, solange ich weg bin. Ich glaube, dieser Ausflug - wohin er uns auch führen mag - hat etwas mit dem Haus des Schicksals zu tun.«
»Ich sehe mich nur ein bisschen um. Sei du vorsichtig.«
Ich stand mit den Mädchen auf dem Plateau und winkte, bis Josua und der Magier samt ihrem Lastenkamel mit Proviant nicht mehr zu sehen waren, dann stiegen wir einer nach dem anderen die Strickleiter hinunter zum Eingang in der Felswand. Dieser Eingang und der Tunnel waren gerade breit genug für einen Menschen, der sich bückte, und ich schaffte es jedes Mal, mir auf dem Weg Ellbogen oder Schulter zu prellen, was mir Gelegenheit gab, mit meiner Fähigkeit, in vier Sprachen zu fluchen, aufzuschneiden.
Als ich zur Kammer der Elemente kam, wo wir uns in der Kunst der Neun Elixiere übten, hatte Erbsenschote den kleinen Ofen schon geschürt. Sie gab Messingbarren in einen kleinen, steinernen Schmelztiegel oberhalb der glühenden Kohle. Vom Wachsabdruck hatten wir ein Wachsduplikat des Schlüssels angefertigt und davon wiederum eine Gipsform gemacht, die wir gebrannt hatten, um so das Wachs herauszuschmelzen. Wir hatten eine einzige Chance, den Schlüssel zu gießen, denn wenn das Metall in der Gipsform abkühlte, konnte man es nur herausbekommen, indem man den Gips zerschlug.
Als wir die Form aufbrachen, hielt Erbsenschote das Ende von etwas in der Hand, das wie ein Messingdrache auf einem Stock aussah.
»Das ist vielleicht ein Schlüssel«, sagte ich. Die einzigen Schlösser, die ich je gesehen hatte, waren klobige Eisendinger, nie im Leben elegant genug für einen solchen Schlüssel.
»Wann willst du ihn benutzen?«, fragte Erbsenschote. Ihre Augen waren geweitet wie die eines aufgeregten Kindes. In solchen Momenten war ich drauf und dran, mich in sie zu verlieben, aber glücklicherweise wurde ich stets durch Wonnes Eleganz, Kissens mütterliche Fürsorge, Nummer Sechs' Geschick oder irgendeinen anderen der Reize, mit denen man mich tagtäglich überhäufte, davon abgelenkt. Ich begriff Balthasars Strategie sehr gut, sich nur nicht zu verlieben. Josuas Lage dagegen war komplizierter, denn er genoss es, Zeit mit den Mädchen zu verbringen, Geschichten aus der Thora gegen Legenden von Sturmdrachen und Affenkönigen zu tauschen. Er sagte, Frauen besäßen eine angeborene Güte, wie er sie von keinem Mann kannte, und er habe sie einfach gern um
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