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Die Bibel

Die Bibel

Titel: Die Bibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Nürnberger
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unterschied.
    Seit diesem Auszug aus Ägypten ist der Exodus, die Befreiung, die Abschüttelung von Fremdherrschaft und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft, zu einem Archetypus der Weltgeschichte geworden, der in zahlreichen Aufständen und Befreiungsbewegungenseine Sprengkraft bis weit in die säkularen Jahrhunderte bewahrte. Aber auch die Last der Freiheit und die Verklärung der Unfreiheit durch nostalgische Erinnerungen an die «Fleischtöpfe Ägyptens» gehören zu dieser Urerfahrung ebenso wie die jeder Befreiung folgende Enttäuschung. Und die Erfahrung: Freiheit ist eine Voraussetzung, aber keine Garantie für Glück.
    Der Spartakus-Aufstand in Rom, die Revolution in Frankreich, die nationalen Freiheitskämpfe, die amerikanische Verheißung des «Pursuit of happiness», die marxistischen Revolutionen, die lateinamerikanischen Befreiungsbewegungen, der Kampf der Afroamerikaner in den USA, die Unabhängigkeitskämpfe der Kolonialvölker, der Kampf gegen die Apartheid, die 68er-Studentenbewegung, der Feminismus, die Schwulen- und Lesbenbewegung, die Befreiung der Ostdeutschen und Osteuropäer vom Kommunismus – sie alle haben ihre tiefen Wurzeln in jenem identitätsstiftenden Schilfmeer-Erlebnis der kleinen, zittrigen Verlierertruppe aus Ägypten.
    Der arbeitsfreie Tag, die Institution des Sabbats, geht auf diesen Tag der Befreiung zurück und wurde von ihren Erfindern mit dem letzten Tag der Schöpfung, dem Ruhetag Gottes, verknüpft. Jeder Sabbat ist seitdem ein Tag der Erinnerung an die selbst erkämpfte und zugleich von Gott geschenkte Freiheit. Die Christen haben die Tradition fortgesetzt, indem sie das Ereignis mit der Auferstehung Jesu verknüpften und sich seitdem von Sonntag zu Sonntag daran erinnern. Passah und Ostern sind die jährlichen Über-Feiertage zum Sabbat und Sonntag, in denen sich die Geschichte, die sich seitdem ereignet hat, wiederkehrend bündelt, und der 1.   Mai ist ein säkularer Ableger davon.
    Das Skandalöse dieser Geschichte ist uns Heutigen gar nicht mehr richtig bewusst. Frühere Völker taten sich leichter, es zu verstehen. Das Skandalöse dieser Geschichte steckt darin, dass es Unterdrückte waren, Außenseiter, ungebildete Verlierer und Versager, welche die Hybris hatten, sich als «erwähltes Volk» zu fühlen.Die Abstammung von einem Sklaven wurde in der Antike als
    Schande empfunden. Die Juden bekannten sich zu ihrer schändlichen Herkunft, aber weil Gott ausgerechnet sie erwählte, betrachteten sie sich als geadelt, und diese modern anmutende Strategie, die vermeintliche Schwäche zur Stärke zu machen, trieb den vornehmen Völkern und denen, die sich dafür hielten, die Zornesröte ins Gesicht.
    Friedrich Nietzsche hatte noch ein Gefühl für diesen Skandal und deshalb gewütet, dies sei der Anfang des «Sklavenaufstands in der Moral» gewesen. Das Volk vom Berg Sinai habe eine folgenschwere Umkehrung der Werte vorgenommen, erkannte Nietzsche mit scharfem Blick. Der aristokratischen Wertgleichung gut = vornehm = mächtig = schön = glücklich = gottgeliebt hätten die Steineklopfer aus Ägypten ihre Sklavenmoral entgegengesetzt: gut = elend = arm = ohnmächtig = niedrig = krank und leidend. In der kämpferischen Parole «Black is beautiful» oder «Ich bin schwul, und das ist gut so» scheint diese Umwertung bis heute noch durch.
    Wir mögen Verlierer sein, sagte dieses Völkchen, wir mögen schwächliche Versager sein, aber Gott hat uns erwählt, wir wissen auch nicht, warum, das überrascht uns selbst ja am meisten, aber so ist es nun mal, das haben wir euch anderen voraus, und deshalb sind wir jetzt keine Verlierer mehr – das war nicht die einzige Provokation, mit der das neue Volk die etablierten Völker gegen sich aufbrachte. Noch schlimmer war vielleicht das Salz der aufklärerischen Kritik, mit der die Juden den anderen in die religiöse Suppe spuckten.
    Den mächtigen, sie ständig bedrohenden Herrenvölkern ringsherum erklärten sie ohne Furcht: Es stimmt nicht, dass es einen Gott für den Krieg gibt, einen für die Fruchtbarkeit, einen für die Schönheit und für jedes weitere Ressort noch einen. Es gibt nur einen Gott, unseren Gott. Er ist auch der eure, und wenn ihr das nicht begreift, ist das nicht sein Problem, sondern eures.
    Eure Bilder und Statuen, mit denen ihr eure Götter abbildet, die könnt ihr getrost verheizen oder in den Jordan werfen. Die stimmen alle nicht. Der eine und wahre Gott ist ganz anders, als ihr euch das mit eurer begrenzten

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