Die Bibliothek der Schatten Roman
Vater.«
Keiner sagte etwas, und eine bedrückte Stimmung legte sich über die Versammlung.
»Die war lange unterwegs«, fuhr er fort. »Aber es ist ja auch weit von Ägypten.«
Katherina zuckte zusammen und riss Tom die Karte aus der Hand.
»Ägypten«, platzte sie heraus und starrte auf das Bild.
Die Karte zeigte ein großes, kreisrundes Gebäude aus Sandstein, dessen Glasdach leicht abfiel und in der kräftigen Sonne metallisch glänzte. Das Gebäude glich einer fliegenden Untertasse, die in der Wüste notgelandet war. Mit zitternden Händen drehte Katherina die Karte um.
Niemals in ihrem Leben war sie so frustriert darüber gewesen, nicht lesen zu können, wie in diesem Moment, als sie die für sie nichtssagenden Zeichen auf der Rückseite anstarrte. Widerstrebend reichte sie Iversen die Karte. Er nahm sie und las laut vor:
»Sie sind hier - Luca.«
Zum zweiten Mal an diesem Tag fühlte Katherina große Erleichterung. Die Karte gab Auskunft über die Stadt und vielleicht
sogar das Gebäude, in dem Jon sich befand. Der gedruckte Text verriet, dass das abgebildete Gebäude die Bibliotheca Alexandrina in der Hafenstadt Alexandria war.
Iversen fasste sich an den Kopf und rief:
»Na klar.« Er lachte erleichtert auf. »Wie konnte ich das denn nur übersehen?«
Tom Nørreskov stand verdutzt da und sah die anderen an, überrascht über den Effekt der Postkarte.
»Also, wo ist Jon?«, fragte er noch einmal.
Wieder schwiegen alle und sahen sich an.
»Hier«, sagte Iversen schließlich und hielt ihm die Karte vor die Nase. »Du hast uns eben selbst die Antwort auf deine Frage geliefert.«
Während Iversen Tom über die Geschehnisse der letzten Woche unterrichtete, wurde die Postkarte zwischen den Anwesenden herumgereicht.
Als Katherina die Gelegenheit bekam, sich die Karte noch einmal genauer anzusehen, starrte sie lange auf das Bild und prägte sich alle Details des runden Gebäudes und seiner Umgebung ein. Vor der Bibliothek lag ein halbmondförmiges Becken, ein natürliches Gegenstück zur riesigen Glasfläche, aus der das ansteigende Dach des Gebäudes bestand. Die metallähnlichen Kästen unter dem Glas hatten einzig die Funktion, das Licht abzulenken, so dass die Lesesäle indirekt beleuchtet wurden. Gleichzeitig gaben sie der Glasfläche etwas Futuristisches, sie sah aus wie eine elektrische Schalttafel. Ein rechteckiger Einschnitt auf der rechten Seite des Gebäudes bildete einen Vorplatz, auf dem ein separates, wie ein Rugbyball geformtes Gebäude lag, das halb in den Boden eingelassen war. Von diesem Platz führte der Haupteingang ins Gebäude.
Dorthin musste sie. »Bibliotheca Alexandrina«, sagte Iversen hinter ihr. »Die berühmteste Bibliothek der Antike, wieder aufgebaut mit dem ursprünglichen Ziel, Wissen und Kenntnisse zu sammeln und
allen zugänglich zu machen.« Er seufzte. »Wollen wir hoffen, dass sie nicht das gleiche Schicksal erleidet wie die ursprüngliche Bibliothek. Unschätzbare Texte gingen bei Kriegen, Plünderungen und Bränden verloren. Es heißt, die Konstruktionspläne der Cheopspyramide hätten in der Bibliothek gelagert, stellt euch das mal vor! Wer weiß, wie viele wichtige Werke wir durch die Gier des Feuers und die Dummheit der Menschen verloren haben. Werke, die unser Verständnis der Geschichte, der Kultur und der Wissenschaft verändert hätten.« Er schwieg aus Respekt vor den verbrannten Büchern.
»Aber warum sind sie dorthin gefahren?«, fragte Katherina.
»Da können wir nur Vermutungen anstellen«, antwortete Iversen. »Vielleicht ist es eine Art Ritual. Die Bibliothek könnte der Treffpunkt der Schattenorganisation sein.«
»Wenn ihr mich fragt - es ist die Spannung«, sagte Tom Nørreskov.
Alle im Raum drehten sich zu ihm um, woraufhin er den Blick niederschlug und seine Hände anstarrte.
»Luca hatte eine Theorie«, begann er leise, und alle traten einen Schritt näher und hörten ihm aufmerksam zu. »Seiner Meinung nach ist nicht nur die Kraft des einzelnen Buches entscheidend, das bei der Aktivierung genutzt wird. Er glaubte, dass auch die Ladung der Bücher, die die Beteiligten umgeben, Einfluss auf die Aktivierung hat, einfach durch ihre Anwesenheit. Eine Aktivierung inmitten der Campelli-Sammlung, die - wie wir alle wissen - hoch aufgeladen ist, wäre demnach stärker als eine Aktivierung auf freiem Feld.«
Iversen nickte.
»Das ist hinlänglich bekannt«, sagte er, klang aber nicht überzeugt.
»Dann würde die Sammlung in der Bibliothek
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