Die Bibliothek der Schatten Roman
gebeten, Ihnen diese Nachricht zu überbringen.«
»Die da lautet?«
Tom schüttelte den Kopf und grinste breit.
»Wie es mich freut, Sie wiederzusehen, Jon. Sie erinnern sich wahrscheinlich nicht mehr an mich, aber ich war oft im Libri di Luca, als Sie klein waren.« Sein Lächeln verschwand. »Ich habe sehr große Stücke auf Ihren Vater gehalten. Wir
waren gute Freunde, und er war der Einzige, der mich in den letzten … zehn Jahren besucht hat, glaube ich.«
»Er war hier?«, fragte Katherina verblüfft.
»Einmal pro Monat, würde ich sagen. In der Regel sonntags, wenn das Geschäft geschlossen war.«
»Davon hat er nie etwas erzählt«, meinte Katherina.
»Nein, natürlich nicht«, antwortete Tom leicht gereizt. »Das gehörte schließlich zu unserem Plan.«
Jon hatte so viele Fragen, dass er nicht wusste, wo er anfangen sollte. Obgleich er seinen Vater seit vielen Jahren nicht mehr gesehen hatte, passten dieser Ort und dieser Mann so ganz und gar nicht in das Bild, das er sich von Luca gemacht hatte. Und noch unwahrscheinlicher war es, dass er Pläne mit einem ausgeschlossenen Mitglied der Bibliophilen Gesellschaft geschmiedet haben sollte, die er so vehement zu schützen versucht hatte. Darüber hinaus hatte man sein Aufkreuzen offenbar vorhergesehen, und es ärgerte ihn, so berechenbar zu sein.
»Wie lautet die Nachricht, Tom?«, beharrte Jon.
Tom musterte ihn mit seinen hellen, blauen Augen, während seine knochigen Finger sich wie die Beine einer Spinne streckten und wieder zusammenzogen. Von dem Lächeln war nichts mehr zu sehen.
»Lassen Sie die Finger davon«, sagte er schließlich.
»Was?«, platzten Jon und Katherina heraus.
»Vergessen Sie, was Sie zu wissen glauben, verkaufen Sie den Laden und kümmern Sie sich um Ihr eigenes Leben«, fuhr Tom fort und verschränkte die Finger. »Lassen Sie das Ganze hinter sich und drehen Sie sich nicht um.«
»Aber…«, setzte Jon an.
»Es ist zu Ihrem eigenen Besten«, fiel Tom ihm ins Wort. »Ihr Vater hat Sie über alles auf der Welt geliebt. Er war so stolz auf Sie - wie Sie Ihre Ausbildung gemeistert haben, Ihre Reisen, Ihre Karriere. Er erzählte stundenlang, wie tüchtig Sie sind
und dass Ihnen alles gelingt. Wussten Sie, dass er viele Ihrer Gerichtsverhandlungen verfolgt hat?« Er schüttelte den Kopf. »Sicher nicht, aber so ist es, und er war mächtig stolz auf Sie.«
»Dann hatte er aber eine merkwürdige Art, das zu zeigen«, bemerkte Jon und verschränkte die Arme. »Wieso hat er nie was gesagt?«
»Haben Sie das denn nicht begriffen?«, fragte Tom ungeduldig. »Er wollte Sie schützen. Luca war lieber ein ängstlicher Vater als kinderlos.«
Jon erhob sich und lief mit auf den Boden gerichtetem Blick und in die Seite gestemmten Händen auf und ab. Ihm war schlecht, wahrscheinlich wegen der stickigen Luft. Wie konnte Tom es aushalten, so zu leben? In diesem Chaos konnte man doch keinen klaren Gedanken fassen. Die Fragen, die ihm so auf der Zunge gebrannt hatten, waren schlagartig verschwunden und durch andere ersetzt worden, bei denen er sich allerdings nicht sicher war, ob er wirklich eine Antwort haben wollte.
»Sie haben etwas von einem Plan gesagt?«, hakte Katherina nach, während Jon weiter hin und her wanderte.
»Es tut mir leid«, antwortete Tom. »Aber mehr kann ich nicht preisgeben. Ich habe versprochen, Lucas Rat an seinen Sohn zu übermitteln. Darüber hinaus wäre es unpassend, ihn noch weiter hineinzuziehen.«
Jon blieb stehen und drehte sich zu Tom um.
»Und wenn ich mich weigere, seinen Rat zu befolgen?«, fragte er aufgewühlt. »Ich stecke bereits mittendrin. Ein paar Menschen erwarten von mir, dass ich ihnen helfe, und andere würden mich am liebsten in die Wüste schicken. Kommen Sie jetzt also nicht und sagen mir, dass ich dem Ganzen einfach den Rücken kehren und weitermachen soll, als wäre nichts gewesen, so gerne ich das auch tun würde.«
»Ich verstehe das nur zu gut«, räumte Tom ein. »Aber ich bin der Meinung, Sie sollten …«
»Ich bin es leid, außen vor gehalten zu werden«, fiel Jon ihm ins Wort. »Erzählen Sie ihr, was sie wissen will. Was war das für ein Plan?«
»Okay, okay«, sagte Tom und sah Jon besorgt an, ehe er sich Katherina zuwandte. »Also, der Plan«, begann er und nickte vor sich hin. »Der Plan lief darauf hinaus, dass sie sich selbst entlarven sollten oder dass wir zumindest ihre Existenz beweisen konnten.«
»Wessen Existenz?«, erkundigte sich Katherina mit einem
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