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Die Bibliothek des Zaren

Die Bibliothek des Zaren

Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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halte es im Flur als zusätzliche Sicherung gegen Diebe – für den Fall, dass einer der verwegensten sich nicht durch die Unglückszahl abschrecken lässt oder nicht bis dreizehn zählen kann. Tretet ein und seid willkommen.«
    Er zündete noch ein paar Kerzen an, so dass man jetzt das geräumige Zimmer sehen konnte, das den größeren Teil des Unterbaus einnahm. Kuriositäten gab es hier mehr als genug, die eine unheimlicher als die andere.
    An der Wand hing über einer schematischen Darstellung des menschlichen Leibes eine Riesenschildkröte mit poliertem Panzer. Links eine gewaltige zähnefletschende Eidechse (ein Krokodil, vermutete Cornelius). Auf den Regalbrettern standen gelbliche Menschenschädel und Gläser, in denen in einer durchsichtigen Flüssigkeit Stücke von Eingeweiden schwammen, offenbar ebenfalls von Menschen. Überall hingen an Schnüren Bunde getrockneter Kräuter, die Stiele von Pilzen und irgendwelchen Wurzeln. Weder eine Ikone noch ein Kruzifix konnte Cornelius entdecken, obwohl er alle Ecken danach absuchte.
    »Das hier ist mein Empfangszimmer und zugleich die Apotheke«, erklärte der Hausherr, der zwischen vier Kandelaber einen sonderbaren Stuhl stellte: mit Riemen an den Armlehnen.
    »Wozu ist das denn?«, fragte von Dorn und beäugte ängstlich die folterähnliche Sitzgelegenheit.
    »Damit meine Patientinnen nicht um sich schlagen und zusammenzucken«, sagte Walser, »aber Euch werde ich natürlich nicht festbinden. Ähnlich wie für einen Philosophen ist für einen tapferen Krieger Schmerz eine Lappalie, die nicht der Beachtung wert ist. Das bloße Zucken alarmierter Nerven. Setzt Euch und öffnet den Mund möglichst weit. Hervorragend!«
    Cornelius stellte sich darauf ein, etwas aushalten zu müssen, doch die Finger des Arztes waren geschickt und vorsichtig; sie berührten nicht, sondern glitten darüber hinweg, quälten nicht, sondern kitzelten.
    »Sehr gut. Der Schlag war so stark, dass sich beide Wurzeln gelockert haben. Es ist also ein Leichtes für mich, sie zu ziehen . . . Was für hervorragende weiße Zähne, wie die eines jungen Löwen. Ihr seid wirklich ein kühner Mann! Wißt Ihr, ich bin schüchtern und verstehe das Wesen der Furchtlosigkeit nicht. Kühne Menschen riskieren so leichtsinnig ihr Leben und denken überhaupt nicht an die Folgen! Der kleinste Fehler, und es ist aus. Schwärze, das Nichts, alles ist zu Ende. Neun Monate im Mutterleib, ein langwieriges und schwieriges Erwachsenwerden, die glückliche Befreiung von unzähligen Krankheiten und Gefahren, und all das wird durch einen unvernünftigen Schritt zertreten und durchgestrichen. Eine ganze Welt geht zu Grunde, mit allen Empfindungen und der Arbeit des Verstandes, die dem betreffenden Menschen eigen waren! Denn wenn man stirbt, dann erfährt man ja nicht, was morgen, in einem Jahr, in zehn Jahren ist. Man wird nie mehr den Frühlingsmorgen, den Herbstabend und die Wiese mit den Kräutern sehen, wie der Wind über sie hinwegzieht! Wie unverzeihlich, sträflich dumm Ihr doch seid, meine kühnen Herrschaften! Was für ein Verbrechen! Und doch bin ich entzückt über Eure Dummheit. Sie ist prächtig, diese Unbekümmertheit, mit welcher der Mensch aufgrund einer Grille, eines Unsinns, einer Laune auf alle Gaben des Lebens und auf die Existenz selber verzichtet! Wirklich, nur der König des Alls ist zu einer solchen Verschwendung fähig! Den Mund weiter aufmachen, weiter!«
    Cornelius gab unartikulierte Laute von sich, denn der Arzt packte ihn auf einmal mit einem Eisen direkt am Kiefer, so schien es, und zog.
    »Einer ist raus. Hau ruck! Da ist auch schon der zweite! Spült den Mund mit Wodka aus, und spuckt ihn dann in die Schüssel.«
    Nachdem er sich mit einem ordentlichen Schluck die Backen aufgeblasen hatte, dachte der Hauptmann natürlich nicht daran, den Wodka auszuspucken – er schluckte ihn runter und streckte sofort wieder die Hand nach der Flasche aus. Aber Walser griff ein.
    »Das reicht. Ich möchte, dass Ihr mir mit klarem Verstand zuhört. Ich möchte Euch etwas mitteilen, was Euer ganzes Leben ändern wird.«
    Der Apotheker rückte aufgeregt seine Brille zurecht und schaute von Dorn forschend in die Augen.
    »Zum Besseren ändern wird, oder?«, fragte der zum Spaß.
    Walser dachte nach.
    »Bevor ich auf diese Frage antworte, sagt mir, Herr Hauptmann, gibt es in Eurem Leben ein großes Geheimnis, dem Ihr auf die Spur kommen wollt?«
    »Ein großes? Gott sei Dank nicht«, sagte Cornelius lächelnd

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