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Die Bibliothek des Zaren

Die Bibliothek des Zaren

Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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schweigst du, englischer Trottel?«, platzte es aus Solowjow heraus. »Glaubst du, ich kann dich nicht decken? Doch keine Angst. Dass ich ohne Wachschutz Auto fahre, hat andere Gründe. Ich will keine Leibwächter. Meinen reizenden Körper kann ich schon irgendwie selbst verteidigen. Und wenn nicht, bin ich keine zwei Kopeken wert. Aber ich habe Kämpfer, gepanzerte. Ich importiere sie aus Tschernogorsk, so dass sie mich anhimmeln wie den Herrgott . . . Du bist so bleich. Ist dir übel?«
    Nicholas war so bleich geworden, weil ihm klar geworden war, Solowjow würde ihn nicht ziehen lassen. Vom Standpunkt seiner Freibeuter-Ethik aus wäre das glatter Verrat. Er würde den in Not geratenen Freund womöglich sogar mit Gewalt halten. Würde ihn einsperren in das Zimmer mit den Mahagoni-Möbeln und dem Mammut-Computer, da würde er nicht lange fackeln. Das konnte er nicht zulassen.
    Am wirksamsten sind die einfachsten Kniffe. Nicholas erinnerte sich daran, wie geschickt er Mister Pumpkin, den erfahrenen Berater in Sicherheitsfragen, hatte stehen lassen.
    »Ja, mir ist übel«, sagte der Magister und zerrte an seinem Hemdkragen. Er stand auf, schwankte absichtlich (in der Hand hielt er den Koffer). »Mir ist schlecht. Ich habe manchmal Allergieanfälle. Ich gehe aufs Klo.«
    »Und wofür brauchst du den Aktenkoffer?«
    »Da habe ich meine Tabletten drin«, log Nicholas. »Ich nehme sie ein, dann geht es vorbei.«
    Der Glaubwürdigkeit halber musste er den Blazer auf dem Stuhl zurücklassen. Da lag sein Pass in einer Innentasche. Wozu brauchte er jetzt einen Pass? Die Brieftasche hatte er in der Hose, das war in Ordnung.
    Er ging in den Flur. Rannte die Treppe hinunter. Aus dem Restaurant erklangen die getragenen Töne des Liedes: »Durch die wilden Steppen hinter dem Baikalsee«. Man hörte zwei Stimmen: die heisere Männerstimme und eine zweite, eine melodiöse Frauenstimme. Der Gesang war schön, aber er hatte im Moment etwas Besseres zu tun, als Lieder zu hören.
    Er musste Sina zuwinken und lächeln. Und dem Pförtner einen Schein zustecken.
    Das war alles!
    Nacht. Es stellte sich heraus, dass es schon Nacht war.
    Sieh mal an, der Nicholas, wie geschickt er alle ausgetrickst hatte! Erinnert das nicht an das russische Märchen vom Pfannkuchen, der, hast du’s nicht gesehen, der Großmutter entfloh, und hast du’s nicht gesehen, dem Großvater entfloh?
    Wie kalt es geworden war. Los, marsch! Nichts wie weg von der Schänke.
    »Durch die wilden Steppen hinter dem Baikalsee!« Links, links! Eins, zwei!
    Anlage:
    Der Limerick, den der nicht ganz nüchterne N. Fandorin am Abend des 15. Juni während seiner Flucht aus der Schänke dichtete:
    Bin ein Schurke und gut im Schwindeln,
Ich lüg euch das Blaue vom Himmel.
Meine einzige Freude:
Meine Kraft zu vergeuden
Beim Streunen durch der Steppe wilde Stille.

ZEHNTES KAPITEL
    Das Haus mit den dreizehn Fenstern.
Die Zauberkräfte des Einhornbeins. Cornelius
lernt neue Wörter kennen. Das Geheimnis des
Steins der Weisen. Fremde Gespräche. Iwan
Artamonowitsch erzählt ein Gleichnis.
Ein übles Ende
    Der Sergeant Olafson hatte ein Fässchen Bier verdient, die Musketiere Saltykow und Lützen je eine Karaffe Wodka. Dafür, dass sie so schnell laufen, erklärte Hauptmann von Dorn, nachdem er sich ein wenig erholt hatte und von den himmlischen Sorgen zu den irdischen zurückgekehrt war.
    Für die Rettung vor dem sicheren Tod hätte man auch eine sehr viel größere Belohnung aussetzen können, aber er musste seine Ehre als Kommandeur wahren. Als die drei Soldaten hinter der Kirche waffenklirrend angelaufen kamen, war der schreckliche Räuber in der Mönchskappe wie von Gottes Wind weggeblasen. Gerade noch war er hier gewesen, hatte den Dolch erhoben, und schon im nächsten Augenblick war er mit der Finsternis verschmolzen, noch nicht einmal der Schnee hatte geknirscht. Die Soldaten hatten den Räuber überhaupt nicht zu Gesicht bekommen – sie hatten nur gesehen, wie der Kompaniechef ächzend aufstand. Umso besser, dass sie den Räuber nicht beobachtet hatten. Es musste ja nicht sein, dass sie mit ansahen, wie ein nächtlicher Bandit ihren Hauptmann mit Füßen tritt.
    Adam Walser dagegen hatte natürlich alles gesehen, aber er hielt den Mund. Zumal er nach dem Mordsschrecken nicht sofort die Gabe der Rede wiedererlangte, sondern erst viel später, als man ihm in der Wachstube ein Glas Wodka eingeflößt hatte.
    »Ich danke Euch von Herzen, dass Ihr mich gerettet habt, Herr

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