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Die Bibliothek des Zaren

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Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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sympathisch und herzlich.
    »Euch irritiert das?«, fragte Adam Walser lachend. »Das ist überflüssig. Ich halte solche Dummheiten nicht für wichtig. Der Mensch hat nur einen Gott, das ist der Verstand. Alles andere ist purer Aberglaube.«
    »Christi Liebe, das soll Aberglaube sein?«, protestierte von Dorn. »Die Gebote Gottes? Das Seelenheil?«
    Er hätte von sich aus keinen theologischen Streit angefangen, aber der Apotheker hatte es sich etwas zu leicht mit dem Glauben an Jesus gemacht.
    Walser antwortete gerne:
    »Aberglaube heißt zu meinen, dass das Seelenheil davon abhängt, wie du betest oder dich bekreuzigst. Die Seele – und ich verstehe unter diesem Begriff Verstand und Sittlichkeit – kann man nur retten, indem man anderen Gutes tut. Das ist Liebe, das sind die Gebote Gottes. Was macht es schon, dass ich nicht in die Kirche gehe und keine Angst vor den Teufeln habe? Dafür, mein kühner Herr von Dorn, kuriere ich kostenlos die Armen und weigere mich nie, obdachlosen Waisen ein Stück Brot zu geben. Deshalb steht an meinem Tor immer ein Kasten mit hartem Brot.«
    »Warum ist das Brot hart?«, fragte Cornelius verwundert.
    »Mit Absicht. Wer satt ist, nimmt es nicht, wer wirklich hungrig ist, der freut sich auch über einen harten Kanten.«
    Sie gingen schweigend weiter. Von Dorn dachte nach über das, was er gehört hatte. Obwohl sie ketzerisch waren, fand er die Überlegungen des Herrn Walser richtig. Es stimmte ja, was für eine Freude soll der Herrgott an einem Menschen haben, der tausendmal am Tag das Kreuzzeichen schlägt, seine Nächsten aber tyrannisiert und quält? Wimmelte es nicht überall von solchen Scheinheiligen? Nein, sei gütig und barmherzig zu den Menschen, und was zwischen dir und Gott ist, geht niemand etwas an. So hielt es auch sein großer Bruder Andreas, der Gottesdiener.
    Cornelius tat es schon nicht mehr Leid, dass er sich wegen des kleinen Apothekers auf eine unnötige Prügelei eingelassen hatte – umso mehr, als an die Stelle der verlorenen bald zauberhafte neue Zähne treten sollten.
    Der Apotheker blieb mitten auf der dunklen, von durchgehenden Zäunen begrenzten Straße stehen und sagte:
    »Seht Ihr das Dach da? Das ist mein Haus.« Er kicherte und rückte die mit Raureif beschlagene Brille zurecht. »Fällt Euch nichts daran auf?«
    Von Dorn guckte. Ein anderthalb Mann hoher Bretterzaun, darüber ein recht großer Blockbau mit einem schrägen Dach. Dunkle Fenster. Nichts Besonderes, die Häuser daneben sahen ganz genauso aus.
    »Zählt mal die Fenster.«
    Als er die schmalen Rechtecke gezählt hatte, bekreuzigte sich Cornelius unwillkürlich. Es waren dreizehn!
    »Warum das?«, fragte er halblaut.
    Mit einem Schlüssel öffnete Walser das knifflige Schloss an der Pforte und ließ dem Hauptmann den Vortritt.
    »Und das steinerne Erdgeschoss hat auch dreizehn Fenster. Eine tolle Idee! Ich gelte bei den hiesigen Einwohnern ohnehin als Zauberer; was sollte ein deutscher Arzt und Kräuterspezialist auch sonst schon sein? Und die dreizehn Fenster schützen mich besser als alle Wachhunde und Wächter. Die Diebe machen einen Bogen um das Haus, sie haben Angst.«
    Er lachte zufrieden und verriegelte die Pforte.
    »Ich habe jetzt keine Diener mehr. Ich hatte zwei Burschen, aber die liegen nun da im Schnee«, sagte Walser und seufzte traurig. »Sie waren dumm, wollten nur essen und schlafen, und trotzdem ist es schade um sie. Der eine ist mir zugelaufen, der andere hat seine betagte Mutter in der Vorstadt. Ich werde ihr Geld geben, für die Beerdigung und zum Lebensunterhalt. Es wird jetzt schwer sein, neue Wächter zu dingen. Ich setze alle Hoffnung auf Euch, Herr Hauptmann.«
    Wozu er das sagte, verstand Cornelius nicht, fragte aber auch nicht. Er wollte, dass der Apotheker und Arzt sich so schnell wie möglich mit seinen Zähnen beschäftigte.
    Das Haus stand auf einem weißen steinernen Unterbau, der zur Hälfte im Boden versenkt war und fast mit der schneebedeckten Erde verschmolz. Walser ging drei Stufen hinunter, öffnete die schmiedeeiserne Tür und trat diesmal als Erster ein.
    »Vorsichtig, Herr Hauptmann«, drang seine Stimme durch die Dunkelheit. »Erschreckt nicht!«
    Aber es war zu spät. Cornelius schritt aus, hob die Laterne und erstarrte: Aus der Finsternis starrte ihn aus schwarzen Augenhöhlen ein menschliches Skelett an.
    »Das ist für anatomische Übungen«, erklärte Walser, der inzwischen eine Kerze angezündet hatte. »Es heißt Adam, genau wie ich. Ich

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