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Die Bibliothek des Zaren

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Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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und fügte hinzu: »Außer dem Leben selbst, versteht sich.«
    »Dann geht davon aus, dass Ihr bis jetzt nicht wirklich gelebt habt«, sagte Walser sehr ernst, ja feierlich. »Das menschliche Leben hat nur dann einen Sinn, wenn sich ein großes Geheimnis darin auftut. Also hört zu. Ihr seid der Erste, dem ich mich anvertraue. Wenn ich an Gott glaubte, würde ich meinen, der Herrgott habe Euch geschickt. Aber da es keinen Gott gibt, herrscht nur der blinde Zufall, also: dem blinden Zufall sei Dank.«
    Von Dorn spürte, wie sich die Aufregung seines Gesprächspartners auf ihn übertrug; er machte keine Witze mehr, sondern war ganz Ohr.
    »Ihr seid ein kühner, starker, großmütiger Ritter. Ihr habt lebhafte, kluge Augen. Selten kommen bei einem Menschen diese wertvollen Eigenschaften zusammen: Kraft, Großmut und Verstand. Vielleicht begehe ich einen nicht wieder gutzumachenden Fehler, wenn ich mich Euch anvertraue, aber wenn Ihr Euch nicht mit solcher Selbstlosigkeit darauf gestürzt hättet, mich zu retten, wäre ich ohnehin schon tot.« Walser erzitterte, als er das sagte. »Die Mönche hätten mich bei lebendigem Leibe ausgeweidet, hätten mir mein Geheimnis durch Folter abgepresst und mich dann den Krähen zum Fraß vorgeworfen.«
    »Die Mönche? Ich dachte, das sind gewöhnliche Räuber, die schwarze Kutten angezogen haben, damit man sie in der Dunkelheit nicht sieht.«
    »Habt Ihr denn Jussup nicht erkannt?«, fragte der Arzt verwundert. »Ihr habt ihm doch direkt gegenübergestanden.«
    »Was für einen Jussup? Meint Ihr die Kanaille, die mir die Zähne ausgeschlagen hat? Nein, sein Gesicht habe ich nicht gesehen, der Mond beschien ihn von hinten. Den soll ich kennen?«
    »Das ist doch Joseph, der Gehilfe des Metropoliten von Antiochia!«
    »Wollt Ihr damit etwa sagen, dass Euch Taissis Leute überfallen haben?«
    Cornelius erinnerte sich daran, dass Seine Eminenz dem Asketen mit dem schwarzen Bart etwas zugeflüstert hatte, woraufhin der sofort zur Tür hinausgegangen war. Nein, das konnte absolut nicht stimmen.
    »Das kann nicht wahr sein«, sagte der Hauptmann und schüttelte den Kopf. »Ein gelehrter Mann, ein Gottesdiener. Ihr irrt Euch!«
    »Wer soll ein Gottesdiener sein, Jussup?« Walser brach in Lachen aus. »Dessen Gott möchte ich lieber nicht begegnen. Jussup ist Syrer, ein Haschischin, der engste Vertraute von Taissi, derjenige, der all seine dunklen Machenschaften in die Tat umsetzt.«
    »Haschi. . .! Was?«
    »Ein Haschischin. Es gibt im Orient einen solchen Geheimbund. Seine Mitglieder werden von klein auf im Handwerk des Tötens ausgebildet. Diese Menschen glauben, sie könnten die Seligkeit des Paradieses erlangen, wenn sie auf Befehl ihres Imams töten. Alle Meuchelmorde der Levante und des Maghreb werden von Haschischin begangen, sie sind Meister ihres blutigen Geschäftes. Sie haben keine Familie, keine gewöhnlichen menschlichen Gefühle und Leidenschaften; nur das Haschischrauchen und die Treue zum Imam zählen.«
    »Ja, ich habe etwas von diesen Fanatikern gehört«, sagte Cornelius nickend, »man nennt sie auch Assassinen. Aber was hat das nun mit Seiner Eminenz zu tun?«
    »Taissi hat Jussup vor vielen Jahren dem Pascha von Antiochia abgekauft und damit vor einer qualvollen Hinrichtung gerettet, ihm sollte nämlich die Haut bei lebendigem Leibe abgezogen werden. Seitdem betrachtet Jussup ihn als seinen Imam und ist ihm ergeben wie ein Köter. Wisst Ihr, wie Taissi in seine momentane Position gelangt ist? All seine Missgönner und Konkurrenten sind auf wunderbare Weise im Jenseits gelandet. Taissi brauchte sich nur den Bischofssitz in Thessaloniki zu wünschen, schon wurde die Stelle frei – der Erzpriester brach sich mir nichts dir nichts das Genick, als er nachts aus dem Bett fiel. Genauso kam der Grieche an die Mitra des Erzbischofs und dann auch an die des Metropoliten. Och, ich weiß einiges von den Machenschaften der beiden! Wenn Taissi sich ein Ziel gesetzt hat, dann hält ihn nichts. Um an die Liberey zu kommen, wird dieses Raubtier mich in Fetzen reißen. Dabei weiß er noch gar nichts von Samoley.«
    »Liberey? Samoley?«, fragte Cornelius mürrisch, weil er diese Worte nicht kannte. »Was oder wer ist das denn?«
    Adam Walser hatte den Faden verloren und rieb sich mit den Fingern die Stirn.
    »Entschuldigung, mein Freund. Ich komme vom Hölzchen aufs Stöckchen und verwirre Euch nur. Ich werde mich gleich beruhigen und alles der Reihe nach erzählen. Wisst Ihr was? Ich

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