Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Bibliothek des Zaren

Die Bibliothek des Zaren

Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
Vom Netzwerk:
ab und raunzte:
    »Pass her, du fremder Teufel! Den Pass, understand?« Und dann wieder an den Soldaten gewandt: »Von dem sollte man keinen Pass, sondern eine Bescheinigung aus der Klapsmühle fordern.«
    Der hagere, blasse Sapryka kicherte unsicher.
    Seltsam, der Offizier zeigte keinerlei Interesse an dem roten Büchlein mit der exotischen britischen Fauna in Gestalt eines Löwen und eines Einhorns. Er reichte es seinem Helfer und sagte:
    »Stempel. Hick.«
    Der Soldat drückte einen Stempel auf die aufgeschlagene Seite, während der Offizier sich schon Mister Kalinkins vornahm.
    »Aha«, knurrte der Rotgesichtige Unheil verkündend, »ein Lette aus unserem Bruderland.« Er runzelte die Stirn und blätterte in dem Pass, eine Seite hielt er sogar gegen das Licht. »Das Visum ist aber ganz schön verschmiert«, bemerkte er mit sichtlichem Vergnügen, »damit kann man allenfalls nach Afrika einreisen. Und das Datum ist auch kaum zu erkennen.«
    »Das hat man mir in Ihrem Konsulat ausgestellt«, sagte der Händler wütend. »Schließlich habe nicht ich das Visum in den Pass gestempelt. Herr Oberleutnant, das ist Schikane!«
    Der Oberleutnant kniff die Augen zusammen:
    »Schikane, sagst du? Und wie eure Grenzer unsere Bürger triezen? Du kommst jetzt gleich mal bis zu einer Klärung mit aus dem Zug raus, dann kannst du was von Schikane erzählen.« Mister Kalinkins wurde blass und bat mit zitternder Stimme: »Nein. Bitte nicht.«
    Nach einer Pause nickte der Offizier und sagte:
    »Na also. Ich werd euch schon Respekt vor Russland beibringen . . . Hick! Also gut, gib ihm schon den Stempel, Sapryka.« Und er streifte die Tür mit der Schulter und trat gravitätisch auf den Gang.
    Der Soldat hielt den Stempel über den Pass, schielte auf Kalinkins Packung Winston, die auf dem Tischchen lag, und fragte leise: »Ob Sie mir vielleicht eine Zigarette spendieren würden?«
    Der Lette fluchte zischend in seiner Sprache und knallte die ganze Packung in die entgegengestreckte Hand.
    Nicholas beobachtete diese Szene völlig verdattert, aber die Erschütterungen nahmen erst ihren Anfang.
    Es verging keine Minute, da flog die Tür wieder auf (klopfen tat man hier offenbar nicht), und ein Zollbeamter betrat das Abteil. Er hatte eine Schnur um den Hals, an der ein Kuli hing. Mit einem schnellen Blick taxierte er die beiden Fahrgäste und setzte sich sofort neben den Letten:
    »Haben Sie Drogen dabei?«, fragte der Zollbeamte mitfühlend. »Heroin oder Kokain vielleicht?«
    »Was denn für Drogen?«, schrie der unglückselige Kalinkins. »Ich bin Geschäftsmann und habe einen Vertrag mit der russischen Firma ›KäseWurstImportExport‹!«
    »Wie wär’s mit einer Leibesvisitation?«, sagte der Mann in der schwarz-grünen Uniform, wandte sich Nicholas zu und erzählte vertraulich: »Wir hatten da in der letzten Woche auch so einen angeblichen Geschäftsmann, der hatte ein Päckchen Rauschgift im Poloch versteckt. Na, macht nichts, wir haben es auch im Poloch gefunden.«
    Der Lette schluckte nervös und steckte dem Zollbeamten unter dem Tisch etwas Raschelndes zu.
    »Wenn Sie einen richtigen Vertrag haben, na dann . . .«, sagte der Beamte seufzend und fragte Fandorin: »Und woher kommen Sie?«
    Und wieder rief der britische Pass weit weniger Interesse hervor als der lettische.
    »Gute Reise«, sagte der Zollbeamte aus irgendeinem Grund auf Deutsch und erhob sich.
    Die Kontrolle war zu Ende.
    Die Zugbremsen kreischten, der Wagen tat einen Ruck und blieb stehen. Aus dem Fenster sah man einen spärlich beleuchteten Bahnsteig und ein Bahnhofsgebäude in Pseudo-Empirestil mit dem Schild:
    NEWOROTINSKAJA
    Mosk. – balt. Eisenbahn
    Das war sie also, die russische Erde!
    Die erste Bekanntschaft mit den Repräsentanten des russischen Staates hatte den Magister der Geschichte so verblüfft, dass er das dringende Bedürfnis verspürte, etwas zu essen.
    Nicholas Fandorin nahm überhaupt keinen Alkohol zu sich, aß in Maßen und zudem ausschließlich physiologisch korrekte Nahrung. Der den meisten Menschen bekannte Drang, ein Gläschen zu kippen, um sich zu beruhigen, machte sich deshalb bei ihm gewöhnlich in dem Wunsch bemerkbar, etwas Ungesundes zu essen.
    Da er die den Speisewagen betreffende Warnung seines Weggefährten noch im Kopf hatte, beschloss er, sich etwas im Bahnhofsbüfett zu kaufen – Gott sei Dank war im Fahrplan angegeben, dass der Zug in Neworotinskaja volle 15 Minuten Aufenthalt hat (offenbar, damit Grenzsoldaten, Zollbeamte

Weitere Kostenlose Bücher