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Die Bibliothek des Zaren

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Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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seine Handy-Nummer an.«
    Er war also tatsächlich da. Der Große Sosso war im Klub! Wie konnte er nur über den Bediensteten an ihn rankommen?
    »Richten Sie Herrn Gabunija bitte aus, Fandorin habe angerufen. In einer dringenden Angelegenheit.«
    »Haben Sie seine Handy-Nummer nicht?«, fragte der Livrierte schon weniger einschmeichelnd. »Joseph Guramowitsch mag es nicht, wenn man ihn beim Billardspielen stört. Wenn er mit dem Spiel fertig ist, richte ich es ihm aus. Hat er Ihre Telefonnummer, Herr . . . ä-ä-ä . . . Fedorin?«
    »Fan-do-rin«, sprach Nicholas Silbe für Silbe und nannte nach kurzem Zaudern seine Handy-Nummer.
    Er schaltete den Computer aus, hängte das Handy an den Hosengürtel und fing an, sich mit den Armen warm zu klopfen und auf dem Platz herumzuspringen. So was soll Sommer sein! Allenfalls dreizehn Grad, mehr nicht. Die vorgestrige Nacht im Hotelzimmer, das dem anspruchsvollen Magister so ärmlich vorgekommen war, erschien ihm jetzt wie das reinste Paradies. Und gestern Nacht auf dem ausgezogenen Tisch war es einfach wunderbar gewesen. Etwas hart natürlich, aber dafür warm, und aus dem Dunkel drang Altyns schläfriges Atmen. Sie war sofort eingeschlafen (während Nicholas sich hin – und herwälzte) und hatte einmal undeutlich etwas Rührendes gemurmelt; man konnte sie sich im Wachzustand unmöglich rührend vorstellen.
    Dumm. Seine Brieftasche war voll gestopft mit Geld und Kreditkarten, und da kam ihm eine so einfache Sache wie nachts ein Dach über dem Kopf zu haben wie ein unzulässiger Luxus vor. Ohne Pass würde man ihn nicht in ein Hotel lassen. Und wenn er einen Pass hätte, dann könnte er ja gleich ins Zuchthaus gehen. Obwohl, Zuchthaus, so hatte das während des Bürgerkriegs geheißen (so hatte es Sir Alexander erzählt), jetzt nannte sich das irgendwie anders. Ach ja, Untersuchungsgefängnis.
    Den Aktenkoffer an die Brust gepresst, stand Nicholas unter einem Baum und schaute verzagt auf das lichtüberflutete Reich des Gottes Hermes, dieses Schutzpatrons des Handels. Limousinen fuhren vor, die Türen des Hotels »International« gingen auf und zu, aber der Bürger des United Kingdom, Besitzer eines akademischen Grades und Nachkomme der Kreuzfahrer, musste draußen im Dunklen bleiben wie ein Straßenjunge vor dem Schaufenster einer Bäckerei.
    An der Ecke der Straße, die zu dem wunderbaren Kaufpalast führte, hielt ein langer Daimler-Benz-Schlitten – genau an der Stelle, wo ein Fräulein in sehr kurzem Rock und sehr langen Stiefeln stand. Sie beugte sich zum Fenster hinunter, sprach mit dem Fahrer über irgendetwas und winkte zornig mit der Hand, als wolle sie sagen: Scher dich doch zum Teufel! Das Auto fuhr weiter und bremste nach fünfzig Yards bei einem anderen Fräulein, das dem ersten zum Verwechseln ähnlich sah.
    Nicholas war ein entschiedener Gegner der Prostitution und sah in diesem schamlosen Gewerbe nicht nur eine Brutstätte von Kriminalität und Krankheiten, sondern auch einen Verstoß gegen die Menschenwürde, vor allem die der Frauen. Es wäre ihm im Traum nicht eingefallen, eine Nacht bei einer Dienerin der Liebe zu verbringen, aber beim Gedanken an ein warmes Zimmer, ein weiches Bett und gemütliches Lampenlicht zog sich das Herz des Magisters wehmütig zusammen. Wenn er sich doch aufwärmen und schlafen könnte, sonst nichts! Er würde den vollen Preis für eine ganze Nacht zahlen, sich unter die Decke legen, seinen Samsonite umarmen und wenigstens für ein paar Stunden der schrecklichen Realität den Rücken kehren.
    Nein, das war Quatsch! Und außerdem auch nicht ungefährlich.
    Aber noch eine Viertelstunde später kam Fandorin dieser Gedanke schon gar nicht mehr so unsinnig vor. Es war sehr viel gefährlicher, nachts hier durch diese wilden Steppen hinter dem Baikalsee zu streunen. Es konnte ihn doch jemand überfallen oder, schlimmer noch, eine Milizstreife ihn anhalten, um seinen Ausweis zu kontrollieren.
    In dem Moment, als Nicholas zurückgehen wollte, Richtung Lastermeile, klingelte das Telefon an seinem Gürtel.
    »Ist dort Nikolai Alexandrowitsch?«, gurrte ein weicher Bariton mit einem kaum merklichen Akzent, der sich nur in einem befremdlichen Singsang und der angehauchten Aussprache einiger Konsonanten äußerte. »Ausgezeichnet, dass Sie sich mit mir treffen wollen. Meine Männer haben die Signale Ihres Handys orten können. Sie sind jetzt irgendwo in der Nähe des Zentrums für Internationalen Handel, oder? Ich habe schon ein Auto nach

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