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Die Bibliothek des Zaren

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Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Grab der Liebsten sucht ich,
    Zu finden ist es nicht leicht.
    Im Saal war ein leises Klatschen zu hören. Gabunija legte den Billardstock aus der Hand, verbeugte sich und tat, als dirigiere er das Orchester.
    »Ich hasse diesen Stuss«, brummte der Bankier zu Fandorin gewandt, kräuselte die Lippen und warf der Sängerin eine Kusshand zu. »Nicht eine Kopeke kriegst du, die hundert Bucks kannst du dir abschminken, du dumme Ziege.«
    »Hören Sie«, fragte Nicholas leise, »warum spielen Sie den Hanswurst? Sie sind doch in Wirklichkeit ganz anders?«
    Joseph Guramowitsch wunderte sich absolut nicht über die dreiste Frage, er sah nur den Magister mit einem glänzenden Auge von der Seite an.
    »Erstens bin ich in gewisser Weise tatsächlich ein Hanswurst, Nikolai Alexandrowitsch.« Er ging um den Tisch herum auf der Suche nach dem richtigen Standort für den nächsten Stoß. »Zweitens, man darf die Leute nicht enttäuschen. Sie erwarten von mir ein bestimmtes Benehmen, warum soll ich dieses Image zerstören? So kann ich beispielsweise Tennis nicht ausstehen, spiele aber. Ich treffe kaum den Ball mit dem Schläger. Aber, wie man sagt, gewinnt nicht der, der gut spielt, sondern der, der sich die richtigen Partner aussucht. Was man dem dicken, lustigen Sosso durchgehen lässt, der auf dem Tennisplatz in der Barwichinskaja-Uliza den Ball nicht übers Netz kriegt, lässt man Joseph Guramowitsch, der alle haushoch im Billard und Poker schlägt, noch lange nicht durchgehen. Da geht es auch gar nicht um das Geschäft, sondern um den Spaß. Ich verliere nie, Nikolai Alexandrowitsch, auch wenn man mich in Grund und Boden spielt wie gestern auf dem Tennisplatz mit. . .« Er nannte einen Vor – und Vatersnamen, der Nicholas zusammenzucken ließ – sollte das vielleicht ein Witz sein? Das sah nicht so aus.
    Der Georgier wandte sich plötzlich mit seinem ganzen fetten Körper Fandorin zu, schaute dem Magister in die Augen und fragte ihn:
    »Nikolai Alexandrowitsch, wer sind Sie eigentlich?«
    Nicholas fing an zu blinzeln. Was war das für eine Frage. Ob der listige Bankier wieder den Dummen spielte?
    »Ich weiß zwar, Sie sind britischer Staatsangehöriger russischer Herkunft«, sagte Joseph Guramowitsch, »Spezialist für russische Geschichte, Sie sind vorgestern mit dem Flugzeug hier angekommen, sind im ›Intourist‹-Hotel abgestiegen, hatten vor, im Archiv zu arbeiten. Ich habe ja gesagt, man hat mir ein Dossier über Sie zusammengestellt. Aber es findet sich darin keinerlei Hinweis darauf, weshalb Sedoi gerade so jemand wie Schurik auf Sie hetzen sollte. Das heißt, das Dossier ist zum Wegwerfen, weil das Wichtigste über Sie nicht darin steht. Wer sind Sie also? Da Sie sich ja selbst an mich gewandt haben, gehe ich davon aus, dass Sie nichts dagegen haben, mir das zu erzählen.«
    Ob der Große Sosso wirklich nichts wusste? Unmöglich. Er tat nur so.
    »Sedoi? Was für ein Sedoi?«, fragte Fandorin vorsichtig.
    Gabunija nickte zufrieden.
    »Aha. Wer Schurik ist, fragen Sie also nicht. Sie haben ihn ja auch gestern näher kennen gelernt. Ein Wunder, dass Sie noch am Leben sind.«
    »Das habe ich nicht zuletzt Ihren Gebeten zu verdanken. Weshalb waren Ihre Leute hinter mir her?«
    »Meine Leute waren nicht hinter Ihnen her, sondern hinter Schurik«, sagte Guramowitsch, legte den Billardstock hin und wischte sich die kreidebefleckten Finger mit einem Tuch ab. »Weil er für Sedoi arbeitet. Alle wissen, dass Schurik sich nicht mit Kinkerlitzchen abgibt. Wenn Sedoi ihn auf Sie angesetzt hat, sind Sie kein kleiner Fisch. Womit wir wieder beim Ausgangspunkt angekommen sind: Wer sind Sie wirklich, Nikolai Alexandrowitsch? Was suchen Sie in Moskau? Und warum will Sedoi Sie aufhalten?«
    »Wenn Gabunija nur vorschützt, nichts zu wissen, ist er ein hervorragender Schauspieler«, dachte Fandorin. Auf eine Frage mit einer Frage zu antworten, ist zwar unhöflich, aber er tat es trotzdem.
    »Ich kenne keinen Sedoi. Wer ist das?«
    Der Große Sosso kaute skeptisch auf seinen Lippen herum, seufzte ungeduldig und antwortete:
    »Mein Feind.«
    »Geht es um irgendeine Vendetta?«, fragte Nicholas, wobei er an die Blutrache dachte, einen Schwur bei gezücktem Dolch und sonstige kaukasische Exotik.
    »Wieso denn Vendetta?«, fragte der Bankier verwundert. »Sedoi und ich, wir stehen uns einfach seit einiger Zeit im Wege. Er hat sich vergrößert, ich habe mich vergrößert, für uns beide wird es zu eng, auch Sibirien ist für uns schon zu

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