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Die Bibliothek des Zaren

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Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Ihnen geschickt. Seien Sie bitte in zehn Minuten am Haupteingang. Es kommt ein schwarzer Nissan Pathfinder.
    Und er beendete das Gespräch, ohne eine Antwort abzuwarten.
    Ein kluger Mann, dachte Fandorin. Sehr klug, sehr präzise, sehr gelassen. Gar nicht so wie auf den Fotos in der Illustrierten. Das heißt, auch noch sehr listig. Also doppelt gefährlich.
    Und er, der halb verrückte Pfannkuchen aus England, der wie im Märchen, hast du‘s nicht gesehen der Großmutter entfloh und hast du‘s nicht gesehen, dem Großvater entfloh, war nun ausgerechnet bei diesem Mann gelandet.
    Vielleicht sollte er lieber das verräterische Telefon abschalten und sich aus dem Staub machen, bevor es zu spät war?
    ***
    Am Steuer saß der Georgier mit dem hochgezwirbelten Schnurrbart, der von Schurik im Flur des »Intourist«-Hotels eine Entschuldigung verlangt hatte. Nicholas versuchte, mit dem alten Bekannten ein Gespräch anzuknüpfen, aber der hüllte sich in totales Schweigen – offenbar hatte er entsprechende Anweisungen erhalten. Oder hatte vielleicht umgekehrt nicht die Anweisung erhalten, ein Gespräch anzufangen? Wer weiß, wie das bei diesen Spezialisten für Geheimnisse üblich ist.
    Der »Pedigree«-Klub befand sich in einer – irgendwo mitten in den Gässchen der Moskauer Altstadt versteckten – prachtvollen Villa aus der Zeit vor dem großen Brand von 1812. Nicholas kannte sich zu schlecht in Moskau aus, das ja zudem noch in nächtlichem Dunkel lag, als dass er den Ort genauer hätte ausmachen können. Aber dass der Jeep den Boulevardring überquert hatte, war sicher.
    Hinter einem hohen Eisentor öffnete sich ein gemütlicher Hof, der von Laternen erhellt war. Nicholas stieg die weißen Steinstufen hinauf, ging zwischen zwei zottigen Löwen hindurch und stieß die Glastür auf.
    Dort erwartete ihn der Portier: in gepuderter Perücke, einem Leibrock mit Tressen und weißen Strümpfen. Er verbeugte sich, übergab Fandorin einem anderen Bediensteten, der genauso gekleidet war, nur dass er zusätzlich goldene Epauletten und Achselschnüre hatte. Er geleitete den Magister, ohne ihm Fragen zu stellen, ins Innere des Gebäudes.
    Der Klub war einfach fantastisch: mit einem rauschenden Springbrunnen, dunklen Bildern in Bronzerahmen, alten Waffen an den Wänden und antiken Schränken mit wertvollem Porzellan. Nicholas gefiel das alles ausnehmend, obwohl, wenn man es genau nahm, die Schränke eigentlich nicht für Geschirr, sondern für Bücher gedacht waren und bei der Polsterung der Sessel das zwanzigste Jahrhundert mit dem achtzehnten stritt. Aber trotzdem war sofort zu sehen, dass der Klub höchst exklusiv war und Hinz und Kunz hier nicht reinkamen.
    Offenbar erklärten sich dadurch auch die auf ihn gerichteten Blicke, die Fandorin auffing, als er dem gepuderten Leibgardisten folgte. Die Gesellschaft der vier soliden Herrschaften am Kartentisch, die beiden gepflegten Damen an der Bartheke und sogar die drei rot angelaufenen Burschen in ihren locker beiseite geschobenen Krawatten – sie alle musterten den langen Lulatsch im schmutzigen weißen Hemd befremdet.
    »Zu Joseph Guramowitsch, zu Joseph Guramowitsch«, erklärte der Lotse im Flüsterton denjenigen, die ihr Befremden allzu demonstrativ bekundeten.
    Hinter dem ersten Saal lag ein zweiter, in dem lauter kleine Tischchen standen. An einigen von ihnen saßen elegant gekleidete Leute beiderlei Geschlechts, die aßen und tranken. »Sieh mal einer an, wie viele überlebt haben, so viele Sprösslinge adeliger Familien«, dachte Nicholas mit ehrfürchtiger Verwunderung und besah sich die Gesichter. »Sicher gibt es hier auch Vertreter von Sippen, die mit den Fandorins durch Blutsverwandtschaft oder Heirat verbunden sind. Schließlich haben sie dreihundert Jahre Seite an Seite gelebt.«
    Ein kleines Orchester – Harfe, Cello und Klavier – spielte eine schwermütige Melodie, und die Sängerin in einem langen Kleid mit fast genauso tief ausgeschnittenem Dekollete sang etwas von irgendwelchen hinreißenden russischen Abenden, aber nicht das berüchtigte Lied von den Abenden bei Moskau (das kannte Nicholas nämlich).
    Am hinteren Ende des Saals, hinter einer Säulenreihe, standen drei Billardtische. Zwei waren nicht besetzt, aber am mittleren spielte ein außerordentlich wohlbeleibter Herr in Atlasweste gegen sich selber. Der Magister erkannte Joseph Gabunija sofort. Er erkannte auch das Schoßhündchen Chouchou, das friedlich mitten auf dem grünen Tisch schlummerte. Der

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