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Die Bibliothek des Zaren

Die Bibliothek des Zaren

Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Strickleiter mit und habe den Abstieg auf den nächsten Tag verschoben. Doch gleich am Morgen jagte man mich mit Schimpf und Schande aus dem Haus des Metropoliten . . . Ich bin leider selber schuld, mein Freund. Als man mich aus dem Keller ließ, war ich wie von Sinnen – ich begrüßte Seine Exzellenz respektlos und hätte ihm beinah ins Gesicht geprustet. Es kam mir komisch vor: Er schläft direkt über der Liberey und ahnt nichts davon. Taissi ist hochnäsig und duldet keine Frechheiten von Untergebenen. Er wies das Gesinde an, mich am Schlafittchen zu packen, rauszuschmeißen und nicht wieder vorzulassen. Auch das Gehalt zahlte er mir nicht. . . Aber das war kein Beinbruch. Schlimmer war Folgendes: Als die Mönche mich mit Fußtritten über den Hof jagten, verlor ich mein Notizbuch, ich weiß selber nicht, wie das kam. Und in diesem Büchlein fand sich neben verschiedenen Gedanken philosophischer Art auch das Verzeichnis der Liberey, das ich in der Universität von Dorpat entdeckt hatte.«
    »Wie unvorsichtig!«, entfuhr es von Dorn.
    »Ich bin doch nicht auf die Idee gekommen, dass das Buch ausgerechnet Taissi, dem einzigen Menschen in ganz Moskowien, der den Sinn dieses Verzeichnisses zu verstehen vermag, in die Hände fällt . . .«
    »Woher wisst Ihr, dass der Metropolit Eure Notizen gelesen hat?«
    Walser antwortete niedergeschlagen:
    »Das weiß ich mit Bestimmtheit . . . Als ich am Abend des nächsten Tages aus dem Apotheken-Amt kam, packten mich zwei Mönche an den Armen und schleiften mich über die Straße. Ich schrie und wehrte mich, aber keiner half mir. Der eine – er hat mir noch mit der Faust einen Schlag aufs Ohr versetzt, das tut sehr weh – sagte: ›Der Metropolit will Euch sprechend Warum sollte Taissi mich elenden Wurm sehen wollen, wenn nicht wegen der Liberey? Doch, der hinterhältige Grieche hat mein Verzeichnis gelesen, er hat es mit Sicherheit gelesen. Und hat wahrscheinlich angenommen, ich sei von jemand auf ihn angesetzt worden, um ihn auszuspionieren. Von jemand, der von dem Interesse des Metropoliten an der Liberey weiß . . . Damals hatte ich Glück. In der Neglinnaja-Uliza sah ich in der Nähe der Dreifaltigkeitsbrücke meinen Vorgesetzten, den Beamten Golossow, in Begleitung von Strelitzen – er brachte dem Zaren Arzneimittel aus der Deutschen Apotheke. Ich schrie und kam frei. Die Mönche liefen weg. Nach diesem Vorfall stellte ich zwei kräftige Diener ein und verließ nie ohne sie das Haus. Ich zerbrach mir den Kopf, wie ich an das Versteck herankommen könnte. Und kam zu dem Schluss, dass in ganz Moskau nur der Kanzler Matfejew genug Einfluss hat, um den Metropoliten in die Knie zu zwingen. Nun, das Weitere wisst Ihr – da wart Ihr ja schon dabei . . . Den ganzen Monat Januar habe ich darauf gewartet, dass Taissi wegfährt, eine Wallfahrt ins Dreifaltigkeitskloster unternimmt oder sich wenigstens auf den Landsitz des Zaren nach Alexandrowa Sloboda begibt, um dort zu graben. Dann hätten wir beide versuchen können, in sein Haus zu gelangen und bis zur Liberey vorzudringen. Aber der abscheuliche Grieche denkt nicht daran, er verbringt jede Nacht zu Hause. Taissi verträgt mit den Jahren die Kälte nicht mehr. Offenbar wird er sich jetzt, bis es warm ist, nicht vom Fleck rühren. Und dann auf einmal dieses Glück mit dem Schlaganfall des Zaren! Der Metropolit wird heute die ganze Nacht nicht nach Hause kommen, er darf sich nicht vom Totenbett entfernen. Wir haben heute eine ganz seltene, vielleicht einmalige Gelegenheit!«
    ***
    Sie bereiteten sich gründlich auf die nächtliche Expedition vor – Adam Walser hatte alles im Voraus bedacht.
    Sie zogen schwarze, eng anliegende Kleidung an und darüber, der Kälte wegen, tatarische Wattejacken. Den Degen ließ von Dorn zu Hause, er war zu lang und unhandlich. Stattdessen bewaffnete er sich mit einem Stutzsäbel, mit einer an einem Riemen befestigten Wurfkugel, und hinten unter dem Kragen versteckte er in einer besonderen Scheide einen kleinen Dolch. Das hatte ihm ein Portugiese während des Flandern-Feldzuges beigebracht: ein unentbehrlicher Gegenstand, wenn man blitzschnell und unerwartet zuschlagen will; du ziehst ihn hervor und kannst – je nach Situation – ihn nach dem Feind schleudern oder damit zustechen. Pistolen nahm er nicht mit, sie durften ja keinen Krach machen. Statt einer Strickleiter steckte er ein Seil mit Knoten und einem Haken am Ende ein – daran konnte man nicht nur hinabsteigen, sondern auch eine Mauer

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