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Die Bibliothek des Zaren

Die Bibliothek des Zaren

Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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wichtig. Um Christi willen, Herr Walser, schweift nicht immer ab! Erklärt lieber, wie Ihr monatelang unbemerkt Eure Ausgrabungen habt durchführen können.«
    »Oh, ich habe alles gut geplant«, erklärte der Apotheker stolz. »Ich habe mir ein hervorragendes System zurechtgelegt. Gebt mir mal Euren Degen. Seht her!« Er hockte sich hin und fing an, mit der Scheide in den Schnee zu malen. »In den Keller, wo sich die Bibliothek befindet, kann man nur über die Treppe in Taissis Schlafzimmer gelangen. Nachts verriegelte der Grieche seine Tür, so dass ich bis zum Morgen nicht mehr herauskonnte, was mir gerade recht war. Mir wurde ein Krug Met hingestellt, etwas zu essen, ein Eimer für die Notdurft, außerdem gab man mir einen Strohsack. Und es war dieser Strohsack, der mich auf eine Idee brachte. Ich nahm von zu Hause ein paar solcher Strohsäcke mit, stopfte Wolle hinein und legte sie in den Spalt unter dem Boden – damit das Parkett nicht hohl klinge. Unter einer der oberen Treppenstufen brachte ich eine Feder an, die ich mit einem Glöckchen verband, das ich in der Grube bei mir trug. Wenn es Taissi auf einmal nachts in den Sinn kommen sollte, in die Bibliothek zu gehen, würde ich sofort ein Warnzeichen erhalten. Die Treppe ist ziemlich hoch und steil, und der Grieche hat Gicht; ich hätte also Zeit genug, aus meiner Grube zu steigen und die herausgenommenen Parkettteile an ihren Platz zu legen. Einmal kam der Metropolit tatsächlich weit nach Mitternacht in den Keller, weil er ein bestimmtes Manuskript brauchte. Als ich die Glocke hörte, erschrak ich entsetzlich und konnte vor Aufregung eine der Eichentafeln nicht richtig einpassen – ich musste ein aufgeschlagenes Buch darüberlegen. Taissi sagte nur: ›Warum lest Ihr denn auf allen vieren, Herr Doktor Walser? Am Tisch ist es doch viel bequemer für Euch.‹ Ich druckste herum, nuschelte etwas Unverständliches – ich zitterte einfach wahnsinnig. Aber alles ging gut. Nach sieben Monaten allnächtlicher Arbeit hatte ich es sieben Fuß tief geschafft. Ich legte Stufen an und stampfte sie fest, damit man leichter hoch – und runtergehen konnte. Manchmal überkamen mich natürlich auch Zweifel – ob mir bei meinen Schlüssen nicht ein Fehler unterlaufen war. Ende des vorigen Jahres, am zweiten Dezember 1675 – ich werde diesen Tag nie vergessen, es ist der wichtigste Tag meines ganzen Lebens! –, stieß der Stutzsäbel, mit dem ich die Erde lockerte, auf einen Stein. Ich kratzte weiter – Mauerwerk! Regelmäßige, mit Mörtel aneinander gefügte Steinwürfel. Ich hielt mein Ohr an die Stelle und klopfte – eindeutig ein metallischer Klang.«
    »Was Ihr nicht sagt!« Cornelius packte den Apotheker an der Schulter.
    »Ihr tut mir weh, Herr Hauptmann . . . Ja, ein dumpfer Klang! Das war wie ein zauberhafter Traum. Ich will Euch nicht mit den Einzelheiten langweilen, wie ich die Steine herausgenommen, weggeschafft und ein Loch in die bleierne Ummantelung gesägt habe. Das war schwierig, denn einen Meißel konnte ich ja nicht benutzen – von dem Krach wäre das ganze Haus aufgewacht. Am sechzehnten Dezember war die Arbeit fertig. Vorsichtig löste ich das schwere Bleiquadrat und schob eine Lampe an einer Schnur durch die Öffnung . . .«
    »Und?«, fragte von Dorn, wobei sich sein Herz zu einer festen Faust ballte, so dass er weder ein – noch ausatmen konnte. »Was war dort?«
    »Die Liberey!«, flüsterte Walser, obwohl außer den beiden auf der dunklen Straße keine Menschenseele war. »Ich konnte zwar nicht runtersteigen, aber ich sah die Truhen, jede Menge alter Truhen! Zwei oder drei Dutzend!«
    »Vielleicht sind da gar keine Bücher drin?«, gab Cornelius zu bedenken, der ebenfalls anfing zu flüstern. »Vielleicht ist da ja Gold drin?«
    »Was denn für Gold?«, sagte Walser erschrocken. »Was redet Ihr da! Da kann kein Gold drin sein, das ist Iwans Liberey!«
    Der Apotheker geriet so außer sich, dass Cornelius ihn beruhigen musste: Na klar, in den Truhen können nur Bücher sein. Im Stillen aber dachte er sich: Wenn es doch bloß nicht die Liberey wäre, der Teufel soll sie holen! Alte Truhen! Bestimmt wird etwas sehr Wertvolles darin aufbewahrt. Aber da erinnerte er sich an das Versteck im Palast mit den verrotteten Zobelpelzen, und seine Erregung legte sich etwas. »Eine zweite solche Enttäuschung überlebe ich nicht!«, sagte sich von Dorn.
    »Und warum konntet Ihr nicht runtersteigen?«
    Walser seufzte.
    »Ich hatte in jener Nacht keine

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