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Die Bibliothek des Zaren

Die Bibliothek des Zaren

Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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durch das Schlafzimmer des Metropoliten und stießen die hohe Tür auf, hinter der eine lange, nach unten führende Treppe zu sehen war.
    Sie zündeten die Laterne wieder an.
    »Das ist die Bibliothek«, erklärte Walser, als sie den kleinen quadratischen Raum erreichten, in dem überall Bücherregale standen. »Fast dreitausend Folianten. So viele hat niemand in Moskowien.«
    Er sprach jetzt laut, mit voller Stimme, ohne Angst, gehört zu werden.
    Er hockte sich mitten im Zimmer hin, hob mit dem Messer einen Parkettstab an, dann einen zweiten, dritten, vierten, nahm das quadratische Brett der Luke heraus, danach den prall gefüllten Strohsack, und von Dorn sah eine dunkle Grube mit groben Stufen aus festgestampfter Erde.
    Er schubste Walser ungeduldig beiseite und kletterte als Erster hinein. Der Apotheker schnaufte laut hinter ihm.
    Sie versenkten den Strick in dem schwarzen Loch mit den Rändern aus Blei und machten den Haken fest.
    »Also, mit Gott«, sagte Cornelius und bekreuzigte sich.
    Er hielt die Laterne mit den Zähnen am Kupferring und tastete sich mit den Händen vor.
    Da: der Fußboden.
    Truhen, riesige! Drei, weitere sechs, in der Ecke vier und dann noch welche an der hinteren Wand. Insgesamt achtundzwanzig. Er stieß eine an – unheimlich schwer, die kriegst du nicht von der Stelle.
    »Haltet den Strick«, schrie Walser von oben. »Ich will auch runter!«
    Komisch mit seinen kurzen Beinen hampelnd, seilte er sich ungeduldig ab.
    Der Hauptmann packte das Schloss der erstbesten Truhe (uff, ganz schön mächtig) und machte keine Umstände; ein ordentlicher Schlag mit der Wurfkugel, und das Schloss war auf. Unter dem Deckel lag ein Samtstoff, der in leuchtendem Karmesinrot schillerte. Er schob ihn beiseite. Ein Wälzer, so breit wie die gesamte Truhe und mit einem dicken Ledereinband versehen, kam zum Vorschein. Von Dorn hob ihn an und erblickte darunter weitere Bücher, jede Menge.
    Er seufzte unwillkürlich. Er hatte doch gehofft, dass in dem Versteck nicht die Liberey, sondern etwas Handfestes ist: Goldmünzen vielleicht oder Edelsteine, Smaragde oder Perlen.
    »Hab ich’s Euch nicht gesagt, hab ich‘s nicht gesagt!«, rief Walser aufschluchzend und ließ seine Augen liebevoll auf dem fuchsroten Kalbsleder ruhen.
    Er schnappte sich die Wurfkugel und rannte zwischen den Truhen hin und her, als ob er einen wilden Tanz aufführe. Er schlug bei einer Truhe nach der anderen das Vorhängeschloss ab, öffnete den Deckel und brummelte merkwürdige Worte – wohl die Buchtitel.
    »Ah, Hephaistion! Ah, Commodianus! Und wer ist das? Libanios vielleicht? Das ist ja toll! Aber . . . wo ist der Samoley?«
    Cornelius verlor auch keine Zeit. Da er die Wurfkugel nicht mehr hatte, öffnete er die Truhen mit dem Stutzsäbel. Bücher in Ledereinbänden warf er auf den Boden; wenn sie kostbare Einbände hatten, legte er sie beiseite. Einige waren wirklich eine Augenweide: mit Perlen, Jaspissen, Smaragden. Die kostbarsten Einbände steckte er in den Sack, in dem bald kein Platz mehr war. Er musste ein paar einfachere wieder herausnehmen und gegen wertvollere austauschen. Es waren so viele Schätze – unzählige.
    Über die matt blitzende Bleidecke huschten Schatten und die Lichtreflexe der Edelsteine. Das wahnsinnige Gestammel Walsers mündete in ein unverständliches Krächzen.
    Der Sack war reichlich schwer, wo sie doch noch die Mauer hochklettern und ihn dann durch ganz Moskau schleppen mussten.
    »Schneller!«, drängte von Dorn und schaute auf die herumliegenden Bücher, um sich zu vergewissern, dass er nichts Kostbares vergessen hatte. »Wenn sie den gefesselten Diener finden, schlagen sie Lärm.«
    »Den finden sie nicht«, antwortete der Apotheker überzeugt. »Wenn der Metropolit im Schlafzimmer übernachtete, würde der Mönch um drei Uhr nachts abgelöst, jetzt aber nicht.«
    »Ihr solltet Euch aber trotzdem beeilen!«
    Als Antwort hörte er das Knarren eines sich Öffnenden Deckels und ein konzentriertes Schnaufen.
    Cornelius öffnete faul das erstbeste Buch und sah griechische Schriftzeichen. Er schlug es wieder zu. Seine Augen fielen auf ein Manuskript von geringem Umfang mit bunten Bildchen und verschnörkelten Buchstaben. Er schwankte: ob er es mitnehmen sollte? Nein, der Einband war zu einfach: mit Silber eingelegtes Kupfer.
    »Da!«, schrie Walser gellend auf. »Da ist’s! Hier ist‘s! Hier! Die feuerroten Steine!«
    Er hüpfte zwischen den Truhen auf und ab und hielt ein Buch an die Brust gepresst:

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