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Die Bibliothek des Zaren

Die Bibliothek des Zaren

Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Der Einband war mit rötlichen, wunderbar schimmernden runden Steinen besetzt. So sahen sie also aus, die feuerroten Karfunkel des Landes Wuth. Es waren Hunderte. Die mussten einen ungeheuren Wert haben!
    Er wurde etwas misstrauisch. Der Absprache nach gehörte der Einband Cornelius. Was drückte er denn fremdes Eigentum so an sein Herz?
    »Gebt her, ich leg‘s in den Sack, und dann gehen wir, es wird Zeit.«
    »Gut, macht Euch keine Sorgen«, brummelte der Apotheker und drückte den Samoley noch fester an sich. »Ich trage ihn selbst.«
    Und der verrückte Glanz in seinen Augen verriet: Er würde eher sterben, als ihn herzugeben.
    »Wie gehen wir zurück?«, fragte der Hauptmann und seufzte. »Wie wir gekommen sind oder durch den Kremlgang?«
    Der Gang fing wohl hinter der halbkreisförmigen, ebenfalls bleiverkleideten Tür an der rückwärtigen Wand an.
    Walser blickte nur verständnislos, es brachte jetzt nichts, sich mit ihm zu besprechen; er war wie von Sinnen.
    »Durch den unterirdischen Gang ist es gefährlich«, überlegte von Dorn. »Vielleicht ist er in den hundert Jahren irgendwo eingestürzt. Und wo man rauskommt, ist ebenfalls unklar . . . Nein, besser durchs Haus zurück. Los, Herr Walser.«
    Der Apotheker steckte dem Hauptmann irgendwelche brüchigen Blätter zu, die ganz ohne Einband waren:
    »Nehmt das noch mit. Wenn ich mich nicht irre, sind das eigenhändige Notate des großen Aristoteles – und zwar ein Buch, von dem ich nie gehört habe. Wenn das stimmt, dann ist dieser Papyrus wirklich unbezahlbar!«
    Cornelius schaute skeptisch auf das unansehnliche Manuskript, zuckte mit den Achseln und steckte es in den Sack. Er wollte keine Zeit mit einer Auseinandersetzung verlieren.
    An dem Seil hochzuklettern, war sehr viel schwieriger als runter. Das heißt, von Dorn schaffte es relativ schnell aus dem Versteck und zog auch den Sack ohne besondere Anstrengung hoch, aber Walser musste am Gürtel festgebunden und wie ein schwerer Stein hochgezogen werden.
    Endlich waren sie draußen. Sie legten das Bleistück an die richtige Stelle, darüber Steine, auf die sie ein wenig Erde schütteten – sie würden wohl kaum bald hierher zurückkehren. Die Grube ließen sie so, wie sie war, aber die Bretter, den Strohsack und die Parkettstäbe legten sie ordentlich an ihren Platz. Wenn man nichts von der Existenz des unterirdischen Raums wusste, konnte man diesen jetzt unmöglich finden.
    Sie stiegen die Treppe hoch, durchquerten das Schlafgemach und kamen ins Empfangszimmer.
    Der Mönch war zu sich gekommen, er wand sich am Boden, wälzte sich hin und her und gab unartikulierte Laute von sich. Er musste mit der Faust ordentlich eins auf den Schädel kriegen, damit er ruhig blieb.
    An Jussups Tür gingen sie wieder auf Zehenspitzen vorbei: Walser hielt den sakrosankten Band an seine Brust gepresst, von Dorn nahm für seine noch wertvollere Last beide Hände zu Hilfe. Ohne irgendwo anzustoßen oder zu knarren, brachten sie wohlbehalten die gefährliche Stelle hinter sich. Als sie um die Ecke gebogen waren und die nachtschwarze Tür schon in Reichweite war, atmeten sie erleichtert auf.
    Vergeblich.
    Plötzlich hörte man die Tür leise in den Angeln quietschen, und aus einer frostigen Dampfwolke näherte sich eine hohe, breitschultrige Gestalt den niedrigen Stufen. Ein langer verfilzter Bart, eine knochige Nase, ein vom Schlaf verknittertes Gesicht. Jussup! Über das graue Büßerhemd hatte er sich wohl wegen der Kälte einen Läufer aus Sackleinwand geworfen. Offenbar müssen selbst Asketen nachts in den Hof.
    Die schwarzen Augen des Haschischin funkelten wie Blitze. Die langen Arme spreizten sich und versperrten den Durchgang.
    Walser schrie leise auf, drückte sich gegen die Wand und verschanzte sich mit dem feurig schillernden Buch wie hinter einem Schild. Mit der Hilfe des Apothekers zu rechnen, hatte keinen Sinn.
    Hauptsache, Jussup würde nicht schreien und die anderen rufen, das war das Einzige, woran Cornelius jetzt dachte. Er warf den Sack auf den Boden, stürmte mit der Wurfkugel vorwärts, zielte auf den Kopf, und zwar nicht wie vorhin auf die Stirn, sondern auf die Schläfe und schlug zu. Der Mönch sprang zur Seite, wich dem pfeifenden Schlag aus, fing die Hand des Hauptmanns ab und drehte ihm mit einem Knacken den Arm auf den Rücken. Die Wurfkugel krachte auf den Holzboden.
    Mit der linken Hand zog Cornelius irgendwie den Stutzsäbel aus der Scheide, stieß, ohne etwas zu sehen, mit der Klinge hinter

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