Die Bibliothek des Zaren
nicht zu hart zum Liegen, es war ja Stroh ausgelegt.
Am nächsten Morgen, wenn man ihn zum Verhör schleifte, auf die Folter spannte und ihm mit der Knute die Haut vom Rücken abzöge, würde ihm diese »Ritze« wie ein Paradies Vorkommen . . .
Nein, er sollte lieber nicht daran denken – bei dem Gedanken an die Folterkammer warf sich der schlimmste Feind des Menschengeschlechts wild auf Cornelius, er drückte und krallte sich so in sein Herz, dass er hätte brüllen können.
Wenn nur der Morgen möglichst lange auf sich warten ließe!
Adam Walser hatte Glück gehabt, er war wohlbehalten davongekommen. Er würde sicher noch vor Tagesanbruch, sobald die Nachtwächter die Straßen freigaben, aus Moskau flüchten. Er würde seinen geliebten Samoley mitnehmen und die anderen Bücher dalassen. Vielleicht würde er noch den zerfledderten Aristoteles einstecken, der war ja nicht schwer.
Er kann gut Russisch. Zieht einen Kaftan, Filzstiefel und eine Mütze aus Katzenfell über, dann hält man ihn für einen Russen. Ehe du dich versiehst, ist er schon an der Grenze. Gott hilft den Schwachen. Und dort in Europa werden dann alle Träume des Apothekers in Erfüllung gehen. Er wird so viel Quecksilber, wie er beschaffen kann, in Goldbarren umschmelzen und sein Leben als freier und reicher Mann beschließen.
Diese Ungerechtigkeit stieß ihm so bitter auf, dass von Dorn die Tränen kamen. Was sollte er sagen, wenn sie ihn folterten? Seinen Namen nennen oder liebend schweigend leiden? Auf den Schutz des Kanzlers konnte er sowieso nicht hoffen – für den Mord im Haus des Metropoliten würde der Bojar Matfejew seinen Adjutanten selbst dem Folterknecht übergeben . . . Alles gestehen? Von dem Versteck, von der Liberey erzählen? Das lief ebenfalls darauf heraus, dass Fondorin ein Dieb war. Er hatte sich am Eigentum des Zaren vergriffen und wusste, wessen Eigentum er stahl. Dafür hacken sie dir die Hand ab und spießen dich danach auf einen Eisenhaken, das hatte Walser ja gesagt. Man müsste erst in Erfahrung bringen, was für eine Strafe die Moskowiter für den Mord an einem Mönch vorsehen, und sich dann entscheiden, ob man gesteht oder schweigt.
Dieser Gedanke ließ Cornelius zur Ruhe kommen. Das Wichtigste war, eine Entscheidung zu treffen, das andere lag in Gottes Hand. Er wälzte sich ein wenig hin und her (das Stroh half nicht besonders), zitterte vor Kälte und merkte selbst nicht, wie er einschlief.
Am nächsten Tag hörte man die Klappe erst am Nachmittag poltern. Sie zogen den steif gewordenen von Dorn an den Beinen aus der »Ritze« und packten ihn unter den Achseln, um ihn von dem einen Keller in einen anderen zu schleifen, allerdings nicht in einen kalten, sondern in einen heißen, weil in der Ecke der Verhörzelle ein Feuer brannte und ein kleiner Mann mit aufgekrempelten Ärmeln und Lederschürze in der Kohle irgendwelche Eisenstangen bearbeitete.
Cornelius schaute erst auf die glühende Zange, auf den von der Decke hängenden Strick (den Wippgalgen also) und drehte sich erst dann zu dem Tisch, an dem zwei Männer saßen: ein ziegenbärtiger Beamter mit einem blassen dünnlippigen Gesicht und ein junger Schreiber, der den Gefangenen neugierig angaffte; offenbar war der Folterdienst etwas Neues für ihn.
Es gibt keine Angst, sagte sich von Dorn und biss die Zähne zusammen, damit sie nicht klapperten. Es gibt den Schmerz, aber der Schmerz ist nur ein einfacher Juckreiz erregter Nerven. Wenn sie ihn foltern, würde er brüllen, was sollte er auch sonst tun.
»Na, du Dieb, du lächelst?«, spottete der Beamte grinsend. »Hast du von der Gnade des Zaren gehört? Ich werde euch Plaudertaschen die Zunge ausreißen lassen«, sagte er schon nicht mehr an Cornelius gewandt, sondern zu den Gefängniswärtern, die ihn gebracht hatten.
Die wollten schwören, dass sie dem Dieb nichts gesagt hätten, aber der Dünnlippige bedeutete ihnen, den Mund zu halten.
»Nach dem Willen des allmächtigen Gottes hat der hohe Herrscher, der Zar und Großfürst Alexej Michailowitsch, das irdische Reich verlassen und ist in die ewige Seligkeit des himmlischen Reiches eingegangen, und bevor er dem Herrgott seine Seele empfahl«, (an dieser Stelle bekreuzigte sich der Beamte dreimal), »hat der hohe Herrscher befohlen, den Schuldnern ihre Rückstände zu verzeihen, die Gefangenen und Gefesselten in die Freiheit zu entlassen und selbst die Mörder zu begnadigen . . .«
Cornelius fuhr auf. Der Zar war also gestorben! Und bevor er
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