Die Bibliothek des Zaren
Ukrainski-Boulevard (unbedingt in Begleitung eines schwarzen Jeeps). Um neun Besuch Sergejews. Der Oberst brachte einen Schwung neuer Bücher, erkundigte sich nach dem voraussichtlichen Tagesplan, führte ein weltmännisches zehnminütiges Gespräch über Politik (seinen Überzeugungen nach war er ein Patriot und unerschütterlicher Befürworter einer starken Staatsmacht) und entfernte sich, wonach man Nicholas das Frühstück servierte.
Dann die Arbeit. In den ersten Tagen bestand sie in der Lektüre historischer Bücher. Sein Interesse an der legendären Bibliothek Iwans des Schrecklichen suchte der Magister geheim zu halten, so dass die Publikationen zu diesem Thema nur einen Bruchteil der von ihm angeforderten Monografien, Dokumente und Erinnerungen ausmachten.
Die Möglichkeiten von Wladimir Iwanowitsch waren anscheinend wirklich unbegrenzt. Abends wurden Fandorin Katalogkästen aus den wichtigsten Moskauer Bibliotheken in die Wohnung gebracht; später, schon nachts, wurden sie wieder ab geholt. Noch nie hatte er unter so beneidenswerten Bedingungen forschen können.
Als er am dritten Tag Professor Belokurows Arbeit »Zur Bibliothek der Moskauer Herrscher des 16. Jahrhunderts« studierte, machte Nicholas eine unglaubliche, fantastische Entdeckung.
In dem berühmten Verzeichnis der Liberey des Zaren, das vor 170 Jahren von Professor Dabelow in Dorpat entdeckt worden war, fand sich neben zahlreichen griechischen und lateinischen Handschriften auch das Buch eines antiken Autors, dessen Name der zeitgenössischen Wissenschaft unbekannt war: Samoley sine Mathemat. »Die Mathematik des Samoley.«
Als er auf diesen Namen stieß, sprang Fandorin auf, warf dabei den Stuhl um und geriet in solche Aufregung, dass er zwei Gläser Mineralwasser trinken musste (die Zähne klapperten wie wild gegen das Glas).
Konnte es sein, dass es in Cornelius’ Brief um dieses Buch ging?! Und wenn dem so war (wie denn sonst? wie?), so folgte daraus, dass von Dorn den Standort genau dieser Liberey Iwans gekannt haben musste. Das heißt, es hatte sie wirklich gegeben!
Fandorin studierte alle greifbaren Informationen über die geheimnisvolle Bibliothek und die mehrmaligen Versuche, sie zu finden, die alle erfolglos blieben.
Was wusste man denn eigentlich über die Liberey?
1472 waren zusammen mit der Mitgift der Nichte des letzten byzantinischen Kaisers auf mehreren Fuhrwerken Kisten mit Büchern nach Moskau geschafft worden, für die sich lange Zeit keiner interessierte.
Es war Wassili Iwanowitsch gewesen, der vierzig Jahre später »die zarenschaetze der alten groszfuersten, seyner ahnen, oeffnete und in eynigen zimmern eine vnmenge griechischer buecher fand, die fuer slowenische Leute absolut vnverstaendlich sind«. Man hatte aus Athos extra den gelehrten Mönch Maxim Grek kommen lassen, der einen Teil der Bücher ins Russische übersetzte. Danach war die Bibliothek aus irgendeinem Grund mit sieben Siegeln versehen und verschlossen worden, und der arme Übersetzer durfte nicht in seine Heimat zurück.
1656 war der gefangene livländische Pastor Wettermann (er war es vermutlich gewesen, der das Verzeichnis von Dorpat angelegt hatte) zum Zaren Iwan gerufen und in einen geheimen unterirdischen Raum geführt worden, wo der Zar ihm eine große Sammlung alter Handschriften zeigte und ihn bat, sie zu übersetzen. Angesichts der großen Menge, die es zu übersetzen galt, erschrak der Pastor und erklärte, er sei nicht dazu im Stande, und wurde in Frieden von Iwan entlassen, dieser hatte damals noch nicht den Beinamen der Schreckliche, zu der fatalen Änderung seines Charakters kam es erst wenig später.
Unter Alexej Michailowitsch bat ein durchreisender Metropolit, der von den Bücherschätzen gehört hatte, den Zaren um Zutritt zu besagter Bibliothek, aber zu diesem Zeitpunkt war der Standort der Bücherei bereits unbekannt.
Da der letzte Zar, der die Bibliothek mit Sicherheit besessen hatte, Iwan der Schreckliche war, bekam sie später den Namen »Bibliothek Iwans des Schrecklichen«.
Der erste Versuch, den geheimen Keller des Zaren zu finden, wurde schon unter Peter dem Großen unternommen, als Konon Ossipow, Glöckner des Moskauer Stadtteils Presnja, bei der Kanzlei für fiskalische Angelegenheiten von zwei unterirdischen, bis zur Decke mit Truhen voll gestellten Zimmern »unter der Kreml-Stadt« Meldung machte. »Vnd jene zimmer befinden sich hinter der groszen befestigung, jene zimmer haben eysentueren, quer darueber durch
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