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Die Bibliothek des Zaren

Die Bibliothek des Zaren

Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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starb, war er offenbar zu Bewusstsein gekommen und hatte nach russischem Brauch die Schuldner und Verbrecher amnestiert – damit die Rückständigen und Gefangenen den Allerhöchsten so aufrichtig wie möglich um Verzeihung für die Sünden des gerade Verstorbenen Alexej bäten. Wie sich herausstellte, waren die moskowitischen Einrichtungen also gar nicht so schlecht!
    ». . . Nur hast du dich umsonst gefreut, du Dieb! Bevor er seinen Geist aufgab, hat Seine Majestät der Zar in Sonderheit angeordnet, nur den Übeltätern, die Gottesdiener getötet haben, nichts zu erlassen, denn das sei keine Sünde vor dem irdischen Zaren, sondern vor dem Himmelsherrscher. Und es ist befohlen, diejenigen von euch Unmenschen, die einen Popen oder Mönch umgebracht haben, nicht wie früher gnädig durch Rädern zu bestrafen, sondern ohne Schonung durch Pfählen, nachdem man ihnen vorher qualvoll am Wippgalgen die Knochen gebrochen hat. Nehmt ihn euch vor, Täubchen. Habt Ihr den letzten Willen des Herrschers vernommen?« Der Beamte hob nachdrücklich den Finger und setzte hinzu: »Die Anordnung lautet: ›qualvoll‹, also wird es auch qualvoll sein.«

DREIZEHNTES KAPITEL
    Aber sie ist nicht leicht zu finden
    Mit Wladimir Iwanowitsch Sergejew, dem Chef der Sicherheitsabteilung der »Eurodebet«-Bank, zusammenzuarbeiten, war ein reines Vergnügen.
    Dieser seriöse, korrekte Herr in seinem obligatorischen Tweedanzug, mit seinem borstigen, kurz gestutzten Schnurrbart glich stark einem englischen Gentleman jenes Schlages, der mit dem Zerfall des britischen Imperiums vom Erdboden verschwunden war. Die Ähnlichkeit wurde dadurch verstärkt, dass Wladimir Iwanowitsch bei der ersten Begegnung mit Fandorin mühelos ins Englische wechselte, in dem er sich fast akzentfrei verständlich machte, allenfalls gebrauchte er etwas zu viele Amerikanismen. Später unterhielt sich der ehemalige Oberst zwar auf Russisch, streute aber von Zeit zu Zeit eine möglichst kompliziert fremdsprachliche Wendung ein.
    Nicholas wurde in einem Haus in der Nähe des Kiewer Bahnhofs einquartiert, wo viele Ausländer wohnten und das nicht ganz russische Aussehen des Magisters weniger auffiel. In den beiden kleinen Zimmern (einem Arbeits – und einem Schlafzimmer) gab es alles, was man zum Arbeiten und zur Erholung brauchte. Das Essen brachte man dem Gast aus dem Restaurant, und wenn Fandorin in die Stadt musste, wurde er ständig von unauffälligen jungen Männern in strengen Anzügen beschützt: Zwei von ihnen schritten in geringem Abstand hinter ihm her, und am Straßenrand begleitete ihn ein Dienstauto, bei dem es sich unbedingt um irgendeinen riesigen Jeep mit verdunkelten Scheiben handeln musste.
    Wladimir Iwanowitsch kam jeden Morgen um Punkt neun zu ihm und rief jeden Abend an, um sich zu erkundigen, ob es neue Aufträge gäbe. Die Aufgaben, die er bekam, erledigte er schnell und präzise. Er stellte keine überflüssigen Fragen und interessierte sich nicht für den Sinn der Recherchen, mit denen sich Nicholas befasste. Wenn alle KGB-Offiziere so effektiv gearbeitet haben, dachte Fandorin manchmal, war es eigentlich ein Wunder, dass das Sowjetimperium so leicht zusammengebrochen war. Offensichtlich gehörte der Oberst Sergejew aber doch zu den besten Mitarbeitern.
    Einmal war Nicholas in den Geschäftsräumen der Bank in der Sredni-Gnesdnikowski-Gasse und trank Kaffee (ohne Cognac) in dem prächtigen Arbeitszimmer von Joseph Guramowitsch. Der Bankier wollte herausfinden, ob die »Angelegenheit« Fortschritte machte, aber Fandorin antwortete ausweichend und lehnte die Einladung zum Abendessen ab, mit der Begründung, er sei mit Arbeit überlastet. »Ich verstehe, ich verstehe«, seufzte Gabunija betrübt. »Ihr wollt durchblicken lassen, dass wir rein geschäftliche Beziehungen haben. Gut, ich will Sie nicht mehr stören. Arbeiten Sie.«
    Der Arbeitstag des Historikers begann so:
    Um halb acht aufstehen, Gymnastik, Duschen mit abwechselnd eiskaltem und heißem Wasser, ein Glas Pampelmusensaft. Mit alkoholischen Getränken war nach der schändlichen Nacht im »Pedigree« ein für alle Mal Schluss. Sobald er sich an diesen Unfug und den darauf folgenden schweren Kater erinnerte, verzog Nicholas gequält das Gesicht und runzelte die Stirn. In der Bar stand eine ganze Phalanx von Flaschen, darunter auch der unvergessliche zwanzig Jahre alte Cognac, aber der Magister rührte dieses ganze giftige Zeug nicht an.
    Um acht Uhr zwanzig: Jogging auf dem

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