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Die Bibliothek des Zaren

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Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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vorher noch nie von einem Mann namens Samoley gehört hatte, dann war klar, die Gangster mussten eindeutig einen hoch qualifizierten Fachmann konsultiert haben.
    Wer liest denn schon Archivzeitschriften und das »Royal Historical Journal«? Nur ein Vollbluthistoriker. Er musste den Zusammenhang zwischen den beiden Publikationen über die zwei Hälften des unverständlichen Schriftstücks erkannt und das geheimnisvolle Päckchen nach London geschickt haben.
    Und Fandorins Gedanken wanderten automatisch zum Archiv-Mozart, dem hoch gebildeten Maxim Eduardowitsch Bolotnikow. Wer hatte den Fund von Infernograd bearbeitet? Bolotnikow. Konnte ihn die Erwähnung von »Samoleys« und »Iwans Liberey« in der rechten Briefhälfte kalt lassen? Nein. Warum hatte Maxim Eduardowitsch dann dem britischen Wissenschaftler und der zweiten Briefhälfte so wenig – so unnatürlich, ja demonstrativ wenig Beachtung geschenkt? Eine Koryphäe des Archivwesens! Und da tut er so, als ob ihm Tennisspielen wichtiger wäre! War die zur Schau getragene Gleichgültigkeit nicht in der Tatsache begründet, dass Bolotnikow genau wusste, er würde den Brief bald in der Hand halten? Noch eins. Wenn Schurik einen Komplizen unter den erfahrenen Mitarbeitern gehabt hatte, dann war klar, wie der Killer auf das Archivgelände hatte gelangen und wie er es unbemerkt wieder hatte verlassen können.
    Am nächsten Morgen bekam Oberst Sergejew einen dringenden Auftrag. Er sollte alle verfügbaren Informationen über den wichtigsten Spezialisten der Bearbeitungs-Abteilung des Zentralarchivs für alte Dokumente (ZaD) Zusammentragen: seine Lebensweise, seine Kontakte, Einzelheiten seiner Biografie.
    Vierundzwanzig Stunden später erschien der fixe Wladimir Iwanowitsch mit einem ausführlichen Dossier.
    »Ich weiß nicht, Mister Fandorin, warum Sie sich für diesen Archivar interessieren, aber er ist zweifelsohne kein einfaches Subjekt, sondern dreht irgendwelche krummen Dinger«, sagte Sergejew und kam sofort zur Sache. Er hielt einen Palm in der Hand, schaute aber kaum darauf – der Oberst hatte ein hervorragendes Gedächtnis. »Was er für krumme Dinger dreht, ist bislang unklar, aber see for yourself. Bolotnikow bekommt ein monatliches Gehalt in Höhe von umgerechnet vierzehn Pfund. Hinzu kommt, dass es unregelmäßig ausgezahlt wird, sie sind jetzt zwei Monate im Rückstand. Gleichzeitig wohnt Bolotnikow in einer Wohnung, die er gerade eben für dreiundachtzigtausend – gemeint sind wieder Pfund Sterling – gekauft hat. Er kauft seine Kleidung in teuren Boutiquen, am liebsten trägt er Anzüge von ›Hugo Boss‹ und Hemden von ›Yves Saint Laurent‹. Und fährt einen neuen, vor kurzem gekauften Sportwagen, einen ›Mazda‹. Er ist Junggeselle, hat ständigen Kontakt mit einer verheirateten Frau und zwei Mädchen. Ihre Namen . . .«
    »Brauch ich nicht«, sagte Nicholas und runzelte die Stirn. »Das ist unwichtig. Hat Bolotnikow Bekannte im kriminellen Milieu? Hat er Kontakt mit Sedoi?«
    Sergejew zuckte leicht mit dem Schnurrbart; er war sichtlich verblüfft, wie viel der Engländer über das kriminelle Milieu von Moskau wusste. Er antwortete zurückhaltend:
    »Bis jetzt ist nichts dergleichen bekannt. Es sieht nicht so aus, als stehe er mit jemand von dem Kaliber wie die von Ihnen genannte Person in Kontakt. Er ist nicht der Typ dafür. Aber man kann das prüfen. Sollen wir ihn weiter beobachten?«
    Er wollte keine Zeit verlieren. Es war ohnehin alles klar.
    »Nicht nötig«, sagte Fandorin. »Können Sie für mich ein Treffen mit Bolotnikow arrangieren?«
    Der Oberst zuckte leicht mit den Achseln:
    »Kein Problem. Wohin sollen wir ihn bringen?«
    Der Magister wollte bitten, der Sicherheitsdienst möge ohne Gewaltanwendung, Entführung und dergleichen Dinge Vorgehen, konnte sich aber nicht dazu entschließen – der anglisierte Sicherheitschef würde womöglich beleidigt reagieren.
    »Nicht hierher. Irgendwo . . .«, Nicholas machte eine vage Handbewegung.
    »Okay. Wird gemacht. Passt es Ihnen um fünf?«
    Nicholas hatte wohl doch den Grad der Europäisierung des früheren KGB-Manns überschätzt.
    Der zum Treffpunkt gebrachte Topspezialist sah bleich und sichtlich verschreckt aus. Er saß zwischen zwei kräftigen, makellos gekleideten Burschen auf dem Rücksitz eines gigantischen Jeeps, der gegenüber dem Gorki-Park stand. Als Fandorin am Parkplatz ankam, stand der Jeep schon da.
    »Sie können gleich im Auto mit ihm sprechen, face to face«, sagte

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